Ratgeber Yen-Carry-Trade: Das Ende einer Ära und was Anleger jetzt wissen müssen

Jahrzehntelang war der japanische Yen die wichtigste Finanzierungsquelle der globalen Finanzmärkte. Doch unter Premierministerin Sanae Takaichi und mit der bevorstehenden Zinserhöhung der Bank of Japan am 19. Dezember 2025 endet der größte Carry-Trade der Geschichte. Dieser Ratgeber erklärt umfassend, was Carry-Trades sind, wer davon betroffen ist und welche Konsequenzen Anleger erwarten müssen.
Das Wichtigste im Überblick
- Leveraged ETFs bieten extreme Renditechancen, können aber in turbulenten Märkten schnell entwertet werden
- Sie eignen sich als präzise Kurzfristinstrumente, sind jedoch mathematisch untauglich für langfristiges Buy-and-Hold
- Ihr boomender Einsatz steht im starken Kontrast zum geringen Verständnis ihrer Risiken
Inhaltsverzeichnis
- Die aktuelle Lage: Japans Zinswende nimmt Fahrt auf
- Was sind Carry-Trades? Eine detaillierte Erklärung
- Die Akteure: Wer steckt hinter dem Carry-Trade?
- Chancen und Risiken: Eine detaillierte Analyse
- Historische Wendepunkte: Die lange Geschichte des Yen-Carry-Trades
- Oktober 2025: Takaichis Wahl und die kurzlebige Renaissance
- Dezember 2025: Die Zinswende ist nicht mehr aufzuhalten
- Globale Auswirkungen: Was Anleger jetzt wissen müssen
- Das Dilemma der Bank of Japan: Ein Balanceakt ohne Netz
- Was bedeutet das nun für Privatanleger? Praktische Handlungsempfehlungen
- Alternative Szenarien: Was könnte anders kommen?
- Fazit: Das Ende einer Ära – und der Beginn einer neuen Normalität
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Die aktuelle Lage: Japans Zinswende nimmt Fahrt auf
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Am 6. Dezember 2025 erreichte die Rendite japanischer zehnjähriger Staatsanleihen mit 1,95 Prozent den höchsten Stand seit 2007. Noch dramatischer zeigt sich die Entwicklung bei kurzfristigen Spitzen, als die Rendite zeitweise auf 1,835 Prozent kletterte – ein Niveau wie zuletzt während der Finanzkrise 2008.
Gouverneur Kazuo Ueda hat für die Notenbanksitzung am 19. Dezember 2025 eine Zinserhöhung von aktuell 0,5 Prozent auf 0,75 Prozent angekündigt. Die Märkte preisen diese Entscheidung mittlerweile mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent ein. Es wäre die erste Zinserhöhung seit Januar 2025, als der Leitzins bereits von 0,25 auf 0,5 Prozent angehoben wurde.
Diese scheinbar kleinen Schritte haben dennoch erhebliche Auswirkungen. Denn nach sieben Jahren negativer Zinsen von 2016 bis März 2024, als der Leitzins bei minus 0,1 Prozent lag, und insgesamt 25 Jahren ultraexpansiver Geldpolitik seit der Finanzkrise 1998 markiert jede Zinserhöhung nun schon fast einen historischen Wendepunkt.
Der Wechselkurs als Warnsignal
Denn ein Blick auf den Wechselkurs des Yen zeigt die Dramatik der Situation deutlich. Am 10. Dezember 2025 notiert USD/JPY bei etwa 156,65 – das bedeutet, dass für einen US-Dollar 156,65 japanische Yen bezahlt werden müssen.
Zum Vergleich: Vor fünf Jahren, im Dezember 2020, lag der Kurs bei etwa 103 Yen pro Dollar. Der Yen hat also rund 34 Prozent seines Wertes gegenüber dem Dollar verloren.
Nach der Wahl von Sanae Takaichi zur Premierministerin im Oktober 2025 verlor der Yen innerhalb einer Woche weitere zwei Prozent gegenüber den wichtigsten Währungen. Das Währungspaar USD/JPY stieg auf 150,61 – ein Zwei-Monats-Hoch. Diese rapide Abwertung alarmierte sowohl das Finanzministerium als auch die Bank of Japan, denn es hat unmittelbare Auswirkungen auf sogenannte Carry-Trades.
Was sind Carry-Trades? Eine detaillierte Erklärung
Ein Carry-Trade ist eine Finanzstrategie, bei der Anleger die Zinsdifferenz zwischen zwei Währungsräumen ausnutzen.
Das Grundprinzip ist einfach: Man leiht sich Geld in einer Währung mit niedrigen Zinsen (Finanzierungswährung) und investiert es in eine Währung mit höheren Zinsen (Zielwährung). Die Differenz zwischen den beiden Zinssätzen ist der „Carry“ – der Ertrag, den der Investor einstreicht.
Ein konkretes Rechenbeispiel für einen Carry-Trade
Nehmen wir an, ein Investor hat im Januar 2022 folgenden Carry-Trade aufgesetzt: Er finanziert sich mit einem Kredit über 100 Millionen Yenbei der Overnight Call Rate von minus 0,1 Prozent, also faktisch kostenlos. Der Wechselkurs USD/JPY steht bei 115, sodass 100 Millionen Yen etwa 869.565 US-Dollar entsprechen. Diese investiert er in US-Staatsanleihen mit zwei Jahren Laufzeit zu zunächst 1,5 Prozent Rendite, die später auf über fünf Prozent steigt.
Bei einem durchschnittlichen US-Zinssatz von 3,5 Prozent über diesen Zeitraum hätte der Investor einen Zinsgewinn von 3,5 Prozent jährlich auf 869.565 Dollar erzielt, was etwa 30.434 Dollar pro Jahr oder circa 3,5 Millionen Yen entspricht.
Der eigentliche Clou liegt jedoch im Währungsgewinn: Zwischen Januar 2022 und Juli 2024 schwächte sich der Yen massiv ab. USD/JPY stieg von 115 auf zeitweise fast 162 – ein Anstieg von 41 Prozent. Die ursprünglich investierten 869.565 Dollar waren bei einem Kurs von 162 plötzlich 140,87 Millionen Yen wert – ein Gewinn von 40,87 Millionen Yen, also über 40 Prozent. Der Gesamtertrag über zweieinhalb Jahre hätte bei etwa 49 Millionen Yen auf eine Investition von 100 Millionen Yen gelegen – das sind fast 50 Prozent Rendite.
Die verschiedenen Varianten des Yen-Carry-Trades
Der klassische Yen-Carry-Trade hat sich in verschiedene Richtungen entwickelt:
- Der konservative Anleihe-Carry: Nutzt die Zinsdifferenz zwischen japanischen und US-Staatsanleihen. Bei einer Zinsdifferenz von zeitweise über 500 Basispunkten war dies eine der sichersten Varianten mit einem geschätzten Volumen von etwa 200 bis 300 Milliarden US-Dollar.
- Der Schwellenländer-Carry: Die geliehenen Yen werden in Hochzinswährungen wie den brasilianischen Real (Leitzins zeitweise über 13 Prozent), den mexikanischen Peso oder den südafrikanischen Rand investiert. Die Renditen sind deutlich höher, aber auch die Risiken. Im Oktober 2025 erwirtschaftete der Yen-Carry gegen den kolumbianischen Peso Gewinne von über fünf Prozent in nur einem Monat.
- Der Aktien-Carry: Besonders in der Hausse-Phase ab November 2022 investierten viele Anleger die geliehenen Yen in US-Technologieaktien, insbesondere in die „Magnificent Seven“ bestehend aus Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon, Meta, Tesla und Nvidia. Mit Kursgewinnen von teilweise über 200 Prozent bei Nvidia übertrafen diese Investments jeden klassischen Zins-Carry bei Weitem.
- Der Krypto-Carry: Ein jüngeres Phänomen ist der Einsatz von Yen-Krediten für Investitionen in Bitcoin und andere Kryptowährungen. Das Volumen ist schwer zu schätzen, dürfte aber im zweistelligen Milliardenbereich liegen.
Die Akteure: Wer steckt hinter dem Carry-Trade?
Das Gesamtvolumen des Yen-Carry-Trades ist schwer zu beziffern, da viele Positionen nicht offengelegt werden müssen. Konservative Schätzungen gehen von mindestens 500 Milliarden US-Dollar aus, andere Analysten sprechen von bis zu einer Billion Dollar oder mehr. Die American Enterprise Institute schätzte das Volumen im Dezember 2025 auf etwa 500 Milliarden Dollar.
Institutionelle Investoren: Die Profis
Hedgefonds sind die aktivsten Teilnehmer am Carry-Trade-Markt. Besonders Makro-Hedgefonds, die auf Währungs- und Zinsbewegungen spekulieren, setzen massiv auf Yen-Carry-Trades. Durch den Einsatz von Hebeln können sie ihre Positionen vervielfachen. Ein typischer Hebel liegt bei 5:1 bis 10:1, was bedeutet, dass aus einem eingesetzten Kapital von 10 Millionen Dollar durch Kreditaufnahme 50 bis 100 Millionen Dollar Investitionsvolumen werden.
Investmentbanken wie Goldman Sachs, JPMorgan und die Deutsche Bank nutzen den Yen-Carry sowohl für eigene Rechnung als auch für ihre Kunden. Die Deutsche Bank beispielsweise schloss im Oktober 2025 ihre bullische Yen-Position, nachdem Takaichis Wahl die Aussichten für weitere Zinserhöhungen getrübt hatte. Pensionsfonds und Versicherungen als langfristig orientierte Investoren nutzen Yen-Kredite, um höher rentierliche Anlagen zu finanzieren. Japanische Pensionsfonds haben geschätzte 200 bis 300 Milliarden Dollar im Ausland investiert, teilweise yen-finanziert.
„Frau Watanabe“: Die japanischen Privatanleger
Eine Besonderheit des japanischen Marktes ist die starke Beteiligung von Privatanlegern. „Frau Watanabe“ – Watanabe ist in Japan so häufig wie Müller oder Schmidt in Deutschland – steht stellvertretend für Millionen japanischer Haushalte, die ihre Ersparnisse im Ausland anlegen. Japanische Privathaushalte halten geschätzte Finanzvermögen von über 2.000 Billionen Yen, etwa 12 Billionen Euro. Ein erheblicher Teil davon ist im Ausland investiert.
Bereits 2016, als die Negativzinspolitik eingeführt wurde, begannen japanische Sparer massiv, ihr Geld ins Ausland zu transferieren. Besonders beliebt bei japanischen Privatanlegern waren australische Dollar-Anleihen mit drei bis fünf Prozent Rendite, türkische Lira mit zeitweise über 15 Prozent Zinsen, US-Aktien insbesondere Technologiewerte sowie FX-Trading über spezielle Online-Broker. Schätzungen zufolge haben japanische Privatanleger zwischen 100 und 200 Milliarden Dollar in solchen Carry-Trade-ähnlichen Strategien investiert.
Chancen und Risiken: Eine detaillierte Analyse
Die Chancen: Warum der Carry-Trade so attraktiv ist
Die Haupteinnahmequelle ist die Zinsdifferenz. Bei einem japanischen Leitzins von minus 0,1 Prozent und einem US-Leitzins von 5,25 bis 5,5 Prozent wie Mitte 2024 beträgt die Differenz über 530 Basispunkte. Das bedeutet: Selbst ohne Währungsgewinne verdient ein Anleger 5,3 Prozent pro Jahr – deutlich mehr als mit vielen anderen risikoarmen Strategien.
Zwischen 2020 und 2024 schwächte sich der Yen um etwa 34 Prozent gegenüber dem Dollar ab. Wer Anfang 2020 einen Carry-Trade startete, konnte allein durch die Währungsentwicklung 34 Prozent Gewinn machen – zusätzlich zu den Zinserträgen. Bei negativen Zinsen wurden Anleger faktisch dafür bezahlt, dass sie sich Geld liehen. Eine 100-Millionen-Yen-Position kostete bei minus 0,1 Prozent Zinsen jährlich nur 100.000 Yen – vernachlässigbar im Vergleich zu den möglichen Erträgen.
Der Yen galt als sehr stabile Finanzierungswährung. In den Jahren 2013 bis 2021 bewegte sich USD/JPY in einer relativ engen Spanne zwischen 100 und 125 – ideal für Carry-Trader. Durch den Einsatz von Leverage können die Gewinne vervielfacht werden. Ein Hebel von 5:1 bedeutet: Aus fünf Prozent Jahresrendite werden 25 Prozent – allerdings bei entsprechend höherem Risiko.
Die Risiken: Warum der Carry-Trade hochgefährlich ist
Das größte Risiko ist das Wechselkursrisiko. Eine plötzliche Aufwertung des Yen kann innerhalb von Stunden oder Tagen alle Gewinne vernichten. Im August 2024 wertete der Yen innerhalb von 48 Stunden um etwa zwölf Prozent gegenüber dem Dollar auf – ein katastrophales Ereignis für Carry-Trader. Wer im Juli 2024 bei USD/JPY 162 einen Carry-Trade eingegangen war und im August bei einem Kurs von 142 schließen musste, erlitt einen Währungsverlust von 12,3 Prozent. Bei 100 Millionen Yen Einsatz entspricht das 12,3 Millionen Yen Verlust. Mit Hebel 5:1 wäre das ein Totalverlust des Eigenkapitals gewesen.
Wenn die Bank of Japan die Zinsen anhebt oder die Fed sie senkt, schrumpft die Zinsdifferenz. Bei einer BoJ-Anhebung von 0,5 auf 0,75 Prozent und einer Fed-Senkung von 4,5 auf 4,25 Prozent verringert sich der Carry von 400 auf 350 Basispunkte – ein Rückgang um 12,5 Prozent. In Stressphasen kann es schwierig werden, Positionen zu schließen. Im August 2024 weiteten sich die Bid-Ask-Spreads bei vielen Währungspaaren massiv aus. Teilweise war es zeitweise gar nicht möglich, große Positionen zu vernünftigen Kursen zu verkaufen.
Wer mit Hebel arbeitet, muss bei Verlusten Nachschüsse leisten. Im August 2024 wurden zahlreiche Hedgefonds und Privatanleger zu Margin Calls gezwungen. Wer das nötige Kapital nicht kurzfristig nachschießen konnte, dessen Position wurde zwangsliquidiert – oft zu katastrophal schlechten Kursen. Wenn viele Marktteilnehmer gleichzeitig ihre Carry-Trades auflösen, entsteht ein selbstverstärkender Prozess. Jeder Verkauf treibt den Yen höher, was weitere Verluste bei anderen Carry-Tradern verursacht.
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Der August-2024-Crash: Eine Lehrstunde in Sachen Risiko
Die Ereignisse vom August 2024 zeigen exemplarisch, wie schnell aus einem profitablen Carry-Trade ein Desaster werden kann. Am 31. Juli 2024 hob die Bank of Japan überraschend die Zinsen von 0,1 auf 0,25 Prozent an. Der Markt hatte nur mit 57 Prozent Wahrscheinlichkeit damit gerechnet. Am 1. August begann der Yen stark aufzuwerten, USD/JPY fiel von 153 auf 149 binnen 24 Stunden.
Am 5. August 2024, dem „Schwarzen Montag„, brach der Nikkei-225-Index um 12,4 Prozent ein – der größte Tagesverlust in der Geschichte der Tokioter Börse. Der Yen schoss weiter nach oben, USD/JPY fiel auf 142. Weltweit brachen Aktienmärkte ein. Die Société Générale schätzte, dass 200 bis 300 Milliarden Dollar binnen weniger Tage zurückgeführt wurden – die größte Auflösung eines Carry-Trades aller Zeiten.
Die Verluste waren massiv: Hedgefonds mit Yen-Carry-Exposure verloren durchschnittlich acht bis 15 Prozent ihres Kapitals in einer Woche. Einige kleinere Fonds mussten schließen. Japanische Privatanleger erlitten geschätzte Verluste von 10 bis 20 Milliarden Dollar. Der renommierte Ökonom Ed Yardeni kommentierte: „Der Beweis ist, dass viel Geld in Japan zu null Prozent Zinsen aufgenommen und für Spekulationen in anderen Teilen der Welt verwendet wurde, und das löst sich jetzt alles auf.“
Historische Wendepunkte: Die lange Geschichte des Yen-Carry-Trades
Das Plaza-Abkommen 1985: Der erste Schock
Am 22. September 1985 trafen sich die Finanzminister der G5-Staaten im New Yorker Plaza Hotel und vereinbarten eine koordinierte Intervention am Devisenmarkt. Ziel war es, den Dollar abzuwerten und den Yen sowie die Deutsche Mark aufzuwerten. Innerhalb von zwei Jahren wertete der Yen von etwa 240 Yen pro Dollar auf 120 Yen auf – eine Verdoppelung des Yen-Wertes. Japanische Exporteure verloren massiv an Wettbewerbsfähigkeit. Um die Wirtschaft zu stützen, senkte die Bank of Japan die Zinsen drastisch und pumpte Liquidität in den Markt. Diese Politik führte zur japanischen Immobilien- und Aktienblase der späten 1980er Jahre. Der Nikkei-225 stieg von etwa 13.000 Punkten im Jahr 1985 auf fast 39.000 Punkte im Jahr 1989. Als die Blase platzte, begann Japans „verlorenes Jahrzehnt“ – das sich später auf drei Jahrzehnte ausdehnen sollte.
Die Asienkrise 1997/98: Geburtsstunde des modernen Carry-Trades
Im Juli 1997 kollabierte der thailändische Baht, was eine Kettenreaktion in ganz Südostasien auslöste. Das BIP schrumpfte dramatisch: Thailand minus acht Prozent, Indonesien minus 13,7 Prozent, Südkorea minus 5,5 Prozent für das Jahr 1998. Japan wurde besonders hart getroffen, da japanische Banken massiv in der Region engagiert waren. Die Hokkaido Takushoku Bank und Yamaichi Securities mussten 1997 schließen – die größten Bankenpleiten in der japanischen Nachkriegsgeschichte. Als Reaktion senkte die Bank of Japan die Zinsen im September 1998 auf 0,25 Prozent und später auf faktisch null. Diese ultraexpansive Politik sollte bis 2024 andauern. Japan wurde zur Finanzierungsquelle für die Welt – der moderne Yen-Carry-Trade war geboren.
Die LTCM-Krise 1998 und das goldene Zeitalter 2003-2007
Long-Term Capital Management war ein Hedgefonds, der massiv auf Yen-Carry-Trades setzte – mit einem Hebel von teilweise über 25:1. Im August 1998, während der Russlandkrise, kam es zu heftigen Marktturbulenzen. Der Yen wertete plötzlich stark auf, LTCM erlitt massive Verluste. Das Volumen der LTCM-Positionen war so groß, dass die Federal Reserve eine Rettungsaktion orchestrieren musste, bei der 14 Großbanken 3,6 Milliarden Dollar zur Verfügung stellten.
Zwischen 2003 und 2007 erlebte der Yen-Carry-Trade seine Blütezeit. Die Zinsen in Japan blieben bei null, während sie in den USA bei vier bis 5,25 Prozent lagen. Bloomberg-Strategen bezeichneten diese Phase als „goldenes Zeitalter des FX-Carry„. Geschätzte 200 bis 400 Milliarden Dollar flossen in Carry-Trade-Strategien. Auch japanische Pensionsfonds und Versicherungen begannen massiv, im Ausland zu investieren. Die Investitionsquote in ausländische Wertpapiere stieg von etwa zehn Prozent im Jahr 2000 auf über 25 Prozent im Jahr 2007.
Abenomics und die Pandemie: Die Wiederkehr des Carry-Trades
Mit dem Amtsantritt von Premierminister Shinzo Abe im Dezember 2012 begann eine neue Phase aggressiver geldpolitischer Lockerung. Im April 2013 kündigte BoJ-Gouverneur Haruhiko Kuroda ein beispielloses QE-Programm an. Der Yen schwächte sich von etwa 80 Yen pro Dollar Anfang 2013 auf über 125 Ende 2015 ab. 2016 verschärfte Kuroda die Politik weiter und führte negative Zinsen von minus 0,1 Prozent ein. Das geschätzte Volumen stieg auf 400 bis 600 Milliarden Dollar.
Die Covid-19-Pandemie führte zu einer weiteren massiven geldpolitischen Lockerung weltweit. Doch während die Fed und andere Zentralbanken ab 2022 aggressiv die Zinsen erhöhten, hielt die BoJ an ihrer Nullzinspolitik fest. Die Zinsdifferenz zwischen Japan und den USA erreichte historische Höchststände: Bei einem Fed-Zinssatz von 5,25 bis 5,5 Prozent und einem BoJ-Zinssatz von minus 0,1 Prozent betrug die Differenz über 530 Basispunkte. Der Yen schwächte sich von etwa 103 Yen pro Dollar Anfang 2020 auf 162 Yen im Juli 2024 ab – eine Abwertung von 57 Prozent innerhalb von viereinhalb Jahren.
Oktober 2025: Takaichis Wahl und die kurzlebige Renaissance
Die Wahl von Sanae Takaichi zur Premierministerin am 6. Oktober 2025 löste eine heftige Marktreaktion aus. Takaichi, eine Schülerin von Shinzo Abe, kündigte eine Rückkehr zur expansiven Fiskalpolitik der Abenomics-Ära an. Am 7. Oktober stieg USD/JPY von 148 auf 150,61 – ein Anstieg um 1,8 Prozent an einem Tag. Die Rendite zehnjähriger JGBs stieg von 1,75 auf 1,80 Prozent. Laut Bloomberg-Daten wurden binnen 48 Stunden neue Yen-Short-Positionen im Wert von geschätzten 20 bis 30 Milliarden Dollar aufgebaut.
Shusuke Yamada von BofA Securities kommentierte: „Der Yen-Carry-Trade bleibt vorerst attraktiv. Wir gehen davon aus, dass der Dollar-Yen bis zum Jahresende auf 155 steigen wird.“ Jane Foley von der Rabobank ergänzte: „Der Markt ist wahrscheinlich zu dem Schluss gekommen, dass der Yen-Carry-Trade kurzfristig wieder aktuell ist.“
Ende November 2025 präsentierte die Takaichi-Regierung ein Konjunkturpaket mit einem Gesamtvolumen von 21 Billionen Yen, etwa 120 Milliarden Euro. Das Paket umfasst etwa zehn Billionen Yen direkte Staatsausgaben, drei Billionen Yen Steuererleichterungen und acht Billionen Yen Kreditgarantien. Analysten erwarten eine Steigerung des Wachstums 2026 von 0,5 auf etwa ein Prozent. Bei einer Staatsverschuldung von bereits über 260 Prozent des BIP, etwa 1.400 Billionen Yen, warnten Analysten jedoch, dass zusätzliche Kreditaufnahme die Verschuldungsspirale weiter anheizen könnte.
Die Ankündigung des Konjunkturpakets führte zu heftigen Reaktionen am Anleihenmarkt. Am 5. Dezember 2025 erreichte die Rendite zehnjähriger JGBs 1,95 Prozent – höchster Stand seit 2007. Am 6. Dezember lag die Intraday-Spitze kurzfristig bei 1,965 Prozent. Die Rendite 30-jähriger JGBs stieg auf 2,95 Prozent. Für den hochverschuldeten japanischen Staat ist das problematisch. Steigen die Durchschnittszinsen auf alle Staatsschulden von derzeit etwa 0,8 Prozent auf zwei Prozent, würden die jährlichen Zinszahlungen von etwa elf Billionen Yen auf über 28 Billionen Yen steigen – fast ein Viertel des gesamten Staatshaushalts.
Dezember 2025: Die Zinswende ist nicht mehr aufzuhalten
In einer Rede am 9. Dezember 2025 legte BoJ-Gouverneur Kazuo Ueda die Karten auf den Tisch. Er erwähnte explizit, dass die Bank die „Vor- und Nachteile“ einer Zinserhöhung bei der Sitzung am 18. und 19. Dezember prüfen werde. In Zentralbank-Sprache ist das eine klare Ankündigung. Ueda führte mehrere Argumente für eine Zinserhöhung an: Die Kerninflation liegt bei 2,7 Prozent – deutlich über dem Ziel von zwei Prozent. Die Shunto-Lohnrunden 2025 ergaben durchschnittliche Lohnerhöhungen von 3,6 Prozent – der höchste Wert seit über 30 Jahren. Die Arbeitslosenquote liegt bei 2,5 Prozent, einer der niedrigsten Werte weltweit. Die Unsicherheit über Trump-Zölle hat sich etwas gelegt.
BoJ-Vorstandsmitglied Junko Koeda äußerte sich am 28. November noch deutlicher: „In dieser Situation halte ich es für notwendig, dass die Bank den Leitzins weiter anhebt und den Grad der geldpolitischen Lockerung entsprechend der Verbesserung der wirtschaftlichen Aktivität und der Preise anpasst.“
Die Markteinschätzung zur Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung hat sich dramatisch entwickelt. Im Oktober 2025 lag die Wahrscheinlichkeit für eine Dezember-Erhöhung bei 22 Prozent, am 1. Dezember stieg sie auf 50 Prozent, am 5. Dezember sprang sie auf 75 Prozent und am 10. Dezember liegt sie bei etwa 75 bis 80 Prozent. Forward-Zinssätze über Swaps und Futures preisen weitere Erhöhungen ein: Dezember 2025 auf 0,75 Prozent, März 2026 auf 0,75 bis 1,00 Prozent, Juli 2026 auf 1,00 Prozent und Dezember 2026 auf 1,00 bis 1,25 Prozent.
Die Zinsdifferenz schrumpft
Entscheidend für die Attraktivität des Carry-Trades ist die Zinsdifferenz zwischen Japan und anderen Ländern. Mitte 2024 betrug die USA-Japan-Zinsdifferenz 5,35 Prozent oder 535 Basispunkte bei einem Fed-Zinssatz von 5,5 Prozent und einem BoJ-Zinssatz von minus 0,15 Prozent. Im Januar 2025 schrumpfte sie auf 4,75 Prozent oder 475 Basispunkte. Im Dezember 2025 liegt sie aktuell bei 3,75 Prozent oder 375 Basispunkte. Ende 2026 wird sie voraussichtlich nur noch 2,50 Prozent oder 250 Basispunkte betragen – ein Rückgang um über 50 Prozent innerhalb von zwei Jahren. Die Commerzbank prognostiziert, dass die Zinsdifferenz bis Ende 2026 auf nur noch 150 Basispunkte schrumpfen könnte, falls die Fed aggressiver senkt als erwartet.
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Globale Auswirkungen: Was Anleger jetzt wissen müssen
Schwächere Aktienmärkte und steigende US-Anleiherenditen
Eine schrumpfende Zinsdifferenz bedeutet weniger Liquidität für riskante Assets. Wenn japanische Investoren ihre Auslandsinvestitionen reduzieren, nimmt die Nachfrage nach US-Aktien und Schwellenländer-Aktien ab. Goldman Sachs schätzt, dass japanische Investoren etwa 50 bis 80 Milliarden Dollar jährlich in ausländische Aktien investiert haben. Eine Halbierung dieser Zuflüsse würde die Kurse belasten. Viele Hedgefonds nutzen Yen-Kredite, um ihre Aktieninvestitionen zu hebeln. Wird der Carry-Trade unattraktiv, müssen sie ihre Hebel reduzieren – das bedeutet Verkäufe von Aktien.
Die „Magnificent Seven“ bestehend aus Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon, Meta, Tesla und Nvidia haben besonders von Yen-finanzierten Käufen profitiert. Analysten schätzen, dass fünf bis zehn Prozent der freien Marktkapitalisierung dieser Unternehmen von yen-finanzierten Investoren gehalten werden – das sind 500 bis 1.000 Milliarden Dollar. Märkte wie Brasilien, Mexiko oder Indien waren bevorzugte Ziele für Carry-Trader. Der MSCI Emerging Markets Index könnte bei einer massiven Carry-Trade-Auflösung um zehn bis 15 Prozent fallen, schätzt die Deutsche Bank.
Japan ist der größte ausländische Halter von US-Staatsanleihen. Laut US-Treasury-Daten hielt Japan per September 2025 etwa 1,12 Billionen Dollar an US-Treasuries – etwa 14 Prozent aller ausländisch gehaltenen US-Schulden. Eine Reduktion der japanischen US-Treasury-Bestände um 100 Milliarden Dollar könnte die Rendite zehnjähriger Treasuries um zehn bis 15 Basispunkte steigen lassen. Die USA finanzieren derzeit ein Defizit von etwa zwei Billionen Dollar pro Jahr. Weniger japanische Käufer treffen auf höheres Angebot – eine ungünstige Kombination.
Schwellenländerwährungen und Kryptowährungen unter Druck
Währungen von Schwellenländern, die hohe Zinsen bieten, waren besonders beliebte Ziele für Yen-Carry-Trades. Das geschätzte Volumen yen-finanzierter Investments liegt beim brasilianischen Real bei 30 bis 50 Milliarden Dollar mit einer potenziellen Abwertung von zehn bis 15 Prozent bei Auflösung. Beim mexikanischen Peso sind es 20 bis 40 Milliarden Dollar mit potenzieller Abwertung von acht bis zwölf Prozent. Der südafrikanische Rand mit geschätzten 15 bis 25 Milliarden Dollar könnte zehn bis 15 Prozent abwerten.
Bitcoin und andere Kryptowährungen haben in den vergangenen Jahren erheblich von Yen-Carry-Liquidität profitiert. Das geschätzte Volumen yen-finanzierter Krypto-Investments liegt bei 20 bis 40 Milliarden Dollar, hauptsächlich in Bitcoin. CoinDesk warnte am 5. Dezember 2025: „Ein stärkerer Yen könnte zu einer Risikominimierung in makroökonomischen Portfolios führen und die Liquiditätsbedingungen beeinflussen, die die jüngste Erholung von Bitcoin unterstützt haben.“ Bitcoin notierte Anfang Dezember 2025 bei etwa 95.000 bis 96.000 Dollar. Bei einer massiven Auflösung von Yen-Carry-Trades könnte BTC auf 70.000 bis 80.000 Dollar fallen – ein Rückgang von 15 bis 25 Prozent.
Japans Staatsschulden und Exportwirtschaft
Japan ist das am höchsten verschuldete Industrieland der Welt mit Staatsschulden von etwa 1.400 Billionen Yen – das sind über 260 Prozent des BIP. Derzeit zahlt der japanische Staat durchschnittlich etwa 0,8 Prozent Zinsen auf seine Schulden, was jährliche Zinszahlungen von etwa elf Billionen Yen oder etwa zehn Prozent des Staatshaushalts entspricht. Bei einem moderaten Anstieg auf durchschnittlich 1,5 Prozent würden die Zinszahlungen auf 21 Billionen Yen oder etwa 19 Prozent des Haushalts steigen. Bei einem deutlichen Anstieg auf zwei Prozent wären es 28 Billionen Yen oder etwa 25 Prozent des Haushalts.
Eine Yen-Aufwertung trifft Japans exportorientierte Wirtschaft hart. Toyota, Honda und Nissan generieren 60 bis 70 Prozent ihres Umsatzes im Ausland. Eine Yen-Aufwertung von zehn Prozent von 155 auf 140 Yen pro Dollar reduziert die in Yen umgerechneten Gewinne um etwa sechs bis acht Prozent. Toyota schätzt, dass jede Yen-Aufwertung um einen Yen den operativen Gewinn um etwa 40 Milliarden Yen oder 250 Millionen Euro reduziert. Insgesamt könnte eine Yen-Aufwertung von zehn Prozent das japanische BIP-Wachstum um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte dämpfen.
Das Dilemma der Bank of Japan: Ein Balanceakt ohne Netz
Die Bank of Japan befindet sich in einer nahezu unlösbaren Situation – einem Trilemma zwischen drei widersprüchlichen Zielen. Einerseits liegt die Inflation mit 2,7 Prozent über dem Zielwert von zwei Prozent, was höhere Zinsen erfordern würde. Andererseits belasten höhere Zinsen den hochverschuldeten Staatshaushalt massiv. Zudem droht bei zu schnellen Zinsschritten eine unkontrollierte Auflösung des globalen Yen-Carry-Trades mit destabilisierenden Folgen für die Weltmärkte.
Commerzbank-Analyst Michael Pfister argumentiert: „Wenn die Inflation so lange über dem Ziel der Zentralbank bleibt, riskieren die Entscheidungsträger, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Eine Zentralbank kann es sich nicht leisten, volatile Komponenten auf unbestimmte Zeit zu ignorieren.“
Gouverneur Ueda versucht, dieses Trilemma durch eine sehr vorsichtige, gut kommunizierte Strategie zu navigieren. Zinserhöhungen erfolgen in kleinen Schritten von jeweils 0,25 Prozentpunkten statt größerer Sprünge. Jede Entscheidung wird frühzeitig kommuniziert und von aktuellen Wirtschaftsdaten abhängig gemacht. Die Bank zeigt Bereitschaft, zu pausieren, wenn Märkte zu nervös werden.
Das neutrale Zinsniveau liegt laut BoJ-Schätzungen zwischen einem und 2,5 Prozent, im Mittel bei etwa 1,75 Prozent. Von aktuell 0,5 Prozent ist das noch ein weiter Weg. Bei Fortsetzung des aktuellen Pfads mit Erhöhung um 0,25 Prozent alle sechs Monate würde es bis Ende 2027 dauern, um auf 1,75 Prozent zu kommen – noch drei Jahre einer vorsichtigen Normalisierung.
Was bedeutet das nun für Privatanleger? Praktische Handlungsempfehlungen
Die wichtigste Empfehlung für Privatanleger ist, gehebelte Yen-Carry-Trades komplett zu vermeiden. Wechselkursrisiken sind extrem schwer vorherzusagen, Hebel verstärken Verluste exponentiell und Margin Calls können zur Zwangsliquidation führen. Im August 2024 verloren japanische Privatanleger geschätzte zehn bis 20 Milliarden Dollar durch Carry-Trade-Verluste. Viele mussten Häuser beleihen oder Altersvorsorge auflösen, um Margin Calls zu bedienen.
Konkrete Handlungsempfehlungen für Privatanleger:
- Fremdwährungsanlagen überprüfen: Viele Privatanleger haben Fremdwährungskonten oder -anleihen, ohne sich des Währungsrisikos bewusst zu sein. Bei US-Dollar-Anleihen sinkt der Wert in Yen, wenn der Yen aufwertet. Schwellenländer-Anleihen bergen ein doppeltes Risiko. Die Empfehlung lautet, ungehedgte Fremdwährungsanlagen um mindestens 50 Prozent zu reduzieren und in Yen-denominierte Assets oder währungsgesicherte Varianten umzuschichten.
- Japanische Aktien selektiv behandeln: Der Nikkei-225 hat eine hohe negative Korrelation zur Yen-Stärke. Eine Yen-Aufwertung belastet exportorientierte Unternehmen wie Automobilhersteller, Elektronikkonzerne und Maschinenbauer. Weniger betroffen sind inlandsorientierte Unternehmen wie Einzelhändler, Immobilien und Banken, die sogar von höheren Zinsen profitieren. Die Strategie sollte auf defensive, inlandsorientierte japanische Aktien fokussieren mit Reduktion von Export-Aktien.
- Kryptowährungen mit Vorsicht: Bitcoin und andere Kryptos sind besonders anfällig für eine Carry-Trade-Auflösung. Der geschätzte Anteil yen-finanzierter BTC-Käufe liegt bei fünf bis zehn Prozent des Gesamtvolumens. Bei massiver Auflösung könnte BTC 20 bis 30 Prozent fallen. Die Empfehlung lautet, Krypto-Positionen um 30 bis 50 Prozent zu reduzieren, Stop-Loss-Orders zu setzen und keine gehebelten Long-Positionen einzugehen.
Timing und Frühwarnindikatoren
Die Auflösung des Yen-Carry-Trades ist kein Ereignis, sondern ein Prozess. Kritische Termine sind der 19. Dezember 2025 für die BoJ-Entscheidung, Januar 2026 für die Shunto-Lohnrunden-Ergebnisse, März 2026 für die nächste potenzielle BoJ-Erhöhung auf 1,0 Prozent sowie Juli und August 2026 als traditionell volatile Monate mit Risiko für größere Positionsschließungen.
Anleger sollten folgende Frühwarnindikatoren im Auge behalten:
- USD/JPY-Volatilität: Normalerweise liegt diese bei acht bis zwölf Prozent annualisiert. Erhöhte Werte von 15 bis 20 Prozent signalisieren zunehmende Nervosität. Über 25 Prozent ist ein klares Warnsignal wie im August 2024, als es zum Crash kam.
- Yen-Positionen (CFTC-Daten): Normalerweise liegen spekulative Yen-Shorts bei 50.000 bis 100.000 Kontrakten. Im Juni 2024 waren es über 180.000. Ein Warnsignal entsteht, wenn Shorts über 150.000 Kontrakte steigen und dann schnell reduziert werden – das deutet auf eine beginnende Auflösung hin.
- Rendite-Spreads USA-Japan: Die Zehn-Jahres-Rendite-Differenz zwischen USA und Japan ist entscheidend. Fällt diese unter 300 Basispunkte, wird der Carry unattraktiv. Unter 200 Basispunkten entsteht massiver Auflösungsdruck, da die Strategie nicht mehr lohnt.
Alternative Szenarien: Was könnte anders kommen?
Im ersten Szenario mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent pausiert die BoJ überraschend am 19. Dezember und erhöht nicht auf 0,75 Prozent. Gründe könnten überraschend schwache Wirtschaftsdaten, drohende Trump-Zölle oder politischer Druck sein. Der Yen würde sich abschwächen, USD/JPY würde auf über 160 steigen, japanische Aktien würden steigen und der Carry-Trade würde eine kurzfristige Renaissance erleben. Mittelfristig würde die BoJ jedoch Glaubwürdigkeit verlieren und die nächste Zinserhöhung müsste umso größer ausfallen.
Im zweiten Szenario mit einer Wahrscheinlichkeit von zehn Prozent hebt die BoJ nicht nur auf 0,75 Prozent an, sondern signalisiert weitere aggressive Schritte mit quartalsweisen Erhöhungen um 0,25 Prozent. Auslöser könnten steigende Inflation auf über 3,5 Prozent, Yen-Schwäche über 160 oder eine Lohn-Preis-Spirale sein. Es würde zu einer massiven Carry-Trade-Auflösung kommen, der Yen würde auf 140 oder darunter schießen, globale Aktienmärkte würden um zehn bis 20 Prozent einbrechen, Schwellenländerwährungen würden kollabieren und Kryptowährungen würden um 30 bis 50 Prozent fallen.
Das wahrscheinlichste Basis-Szenario mit 70 Prozent Wahrscheinlichkeit ist eine kontrollierte Normalisierung. Die BoJ erhöht wie erwartet auf 0,75 Prozent und signalisiert weiteren vorsichtigen Kurs mit Erhöhung auf 1,0 Prozent bis Ende 2026 und auf 1,25 bis 1,5 Prozent bis Ende 2027. Es würde zu einer geordneten Reduktion von Carry-Trades über zwölf bis 18 Monate kommen, der Yen würde moderat auf 145 bis 150 bis Ende 2026 aufwerten, Aktienmärkte wären volatil aber ohne Crash, Schwellenländer unter Druck aber manageable und Kryptos würden zehn bis 20 Prozent fallen und sich dann stabilisieren.
Fazit: Das Ende einer Ära – und der Beginn einer neuen Normalität
Der japanische Yen-Carry-Trade war über mehr als zwei Jahrzehnte eine zentrale Säule der globalen Finanzarchitektur. Mit billigem japanischen Kapital wurden Investitionen von Silicon Valley bis Sao Paulo finanziert. Die ultraexpansive Geldpolitik Japans war faktisch eine versteckte Subvention für die Weltmärkte. Diese Ära geht zu Ende.
Die Zinserhöhung am 19. Dezember 2025 von 0,5 auf 0,75 Prozent ist nur ein weiterer Schritt in einem Normalisierungsprozess, der noch Jahre dauern wird. Doch die Richtung ist eindeutig: Die Bank of Japan bewegt sich – wenn auch in Zeitlupe – hin zu normalen Zinsniveaus. Eine Zinsdifferenz zwischen Japan und den USA, die von über 530 Basispunkten Mitte 2024 auf voraussichtlich unter 250 Basispunkte Ende 2026 schrumpft, macht den klassischen Carry-Trade deutlich weniger attraktiv. Wenn gleichzeitig der Yen aufwertet und USD/JPY von 155 heute auf möglicherweise 140 bis 145 Ende 2026 fällt, werden die verbleibenden Zinserträge durch Währungsverluste zunichte gemacht.
Für die Weltwirtschaft bedeutet die Auflösung des Yen-Carry-Trades mehr als nur ein technisches Ereignis an den Devisenmärkten. Für die USA bedeutet es weniger japanische Käufer von Treasuries zu einem Zeitpunkt, an dem die Verschuldung explodiert – höhere Renditen und potenziell Druck auf hoch bewertete Tech-Aktien. Für Schwellenländer drohen Kapitalabflüsse und Währungsdruck, was wirtschaftliche Entwicklung erschwert. Für Europa ergeben sich indirekte Auswirkungen über US-Aktienmärkte und globale Risikobereitschaft. Für Kryptomärkte ist es ein Test der These, dass Bitcoin als „digitales Gold“ in Krisenzeiten Schutz bietet.
Die wichtigsten Lehren für Anleger sind klar. Nichts ist umsonst – jahrelang schien der Yen-Carry ein „Free Lunch“ zu sein, doch das Risiko war immer da und realisierte sich brutal im August 2024. Hebel sind gefährlich – viele Verluste wären ohne Hebel verkraftbar gewesen, aber mit Hebel wurden sie zu Totalverlusten. Diversifikation ist essentiell – wer „all-in“ im Yen-Carry war, erlitt katastrophale Verluste. Märkte können sich schneller drehen als erwartet – die Geschwindigkeit im August 2024 überraschte selbst Profis. Zentralbanken bleiben unberechenbar – obwohl die BoJ jahrzehntelang ultralocker blieb, änderte sie ihre Politik.
In drei bis fünf Jahren wird Japan wahrscheinlich bei Leitzinsen zwischen 1,5 und 2,0 Prozent angekommen sein. Für Anleger bedeutet das die Suche nach neuen Rendite-Strategien abseits des Yen-Carry, Fokus auf Qualität und Fundamentaldaten statt maximale Rendite, mehr Absicherung und Risikomanagement sowie kürzere Investitionshorizonte und mehr Flexibilität. Die Märkte werden sich anpassen, aber die Übergangsphase – die nächsten zwölf bis 24 Monate – wird volatil und herausfordernd sein.
Die zentrale Botschaft dieses Ratgebers ist: Vorbereitung ist entscheidend. Wer jetzt seine Positionen überprüft, Risiken absichert und einen Plan hat, wird die Auflösung des größten Carry-Trades der Geschichte nicht nur überstehen, sondern möglicherweise sogar davon profitieren. Denn wie Warren Buffett einmal sagte: „Erst wenn die Ebbe kommt, sieht man, wer nackt geschwommen ist.“ Die Ebbe hat begonnen.
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Quellen und weiterführende Links
- Handelsblatt: Der größte Carry-Trade endet – die Börsen-Rally auch?
- FXStreet: BOJ bereitet Zinserhöhung im Dezember vor – Commerzbank
- Sumikai: Bank of Japan bereitet Erhöhung des Leitzins vor
Hinweis: Dieser Ratgeber dient ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Investitionsentscheidungen sollten nur nach gründlicher eigener Recherche und idealerweise in Rücksprache mit einem qualifizierten Finanzberater getroffen werden. Die Finanzmärkte unterliegen erheblichen Risiken, und vergangene Entwicklungen sind keine Garantie für zukünftige Ergebnisse.