ADR/GDR auf russische Aktien: Ratgeber und Status Quo (Stand September 2025)
Der russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 markierte eine Zeitenwende nicht nur für die geopolitische Landschaft Europas, sondern auch für die internationalen Kapitalmärkte. Was als militärischer Konflikt begann, entwickelte sich schnell zu einem umfassenden Wirtschaftskrieg, der Millionen von Anlegern weltweit vor beispiellose Herausforderungen stellte. Besonders betroffen waren Inhaber von American Depositary Receipts (ADR) und Global Depositary Receipts (GDR) russischer Unternehmen, die sich plötzlich mit einem komplexen Geflecht aus Sanktionen, Handelsbeschränkungen und regulatorischen Maßnahmen konfrontiert sahen.
Das Wichtigste im Überblick:
- Kritische Fristen abgelaufen: Die meisten Konvertierungsfristen für russische ADRs/GDRs endeten im Oktober 2024 – Anleger ohne rechtzeitige Konvertierung droht Totalverlust
- Komplexe Rechtslage: EU-Sanktionen, US-OFAC-Bestimmungen und russische Gegenmaßnahmen schaffen ein undurchdringliches regulatorisches Geflecht
- Praktische Illiquidität: Selbst erfolgreich konvertierte Aktien auf russischen Typ-C-Konten sind faktisch nicht handelbar und Mittel nicht repatriierbar
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Die Europäische Union erweiterte ihre bereits seit 2014 bestehenden Sanktionen gegen Russland nach der Annexion der Krim drastisch und verabschiedete bis September 2025 bereits 19 Sanktionspakete. Diese umfassenden Maßnahmen zielten darauf ab, Russlands wirtschaftliche Basis zu schwächen und dem Land den Zugang zu kritischen Technologien und Märkten zu verwehren. Die USA haben ihrerseits seit dem 24. Februar 2022 den Umfang und die Schärfe ihrer Sanktionen und Exportkontrollen gegen Russland erheblich ausgeweitet.
Für Anleger mit Investments in russischen ADRs und GDRs bedeutete dies eine fundamentale Veränderung ihrer Anlagesituation. Was einst als liquide, handelbare Wertpapiere an westlichen Börsen galten, verwandelte sich quasi über Nacht in schwer veräußerbare, teilweise eingefrorene Vermögenswerte. Die Komplexität der entstehenden rechtlichen und praktischen Probleme hat seither zu einem der schwierigsten Kapitel in der modernen Finanzmarktgeschichte geführt.
Was sind ADR/GDR und warum sind sie für russische Aktien von besonderer Relevanz?
Grundlagen der Depositary Receipts
American Depositary Receipts (ADR) und Global Depositary Receipts (GDR) sind Finanzinstrumente, die es Anlegern ermöglichen, ausländische Aktien an heimischen Börsen zu handeln, ohne die Aktien direkt im Herkunftsland erwerben zu müssen. Diese Instrumente werden von großen internationalen Banken wie Citibank, JPMorgan Chase oder der Bank of New York Mellon (BNY Mellon) als Depotbanken ausgegeben.
Das Grundprinzip ist relativ simpel: Die Depotbank erwirbt die ursprünglichen Aktien des ausländischen Unternehmens und hinterlegt diese bei einer lokalen Verwahrstelle im Herkunftsland. Gegen diese hinterlegten Aktien gibt die Depotbank dann ADRs oder GDRs aus, die an westlichen Börsen gehandelt werden können. Jeder ADR oder GDR repräsentiert dabei eine bestimmte Anzahl der zugrundeliegenden Aktien – das sogenannte Umtauschverhältnis kann 1:1, aber auch 1:2, 1:5 oder andere Verhältnisse betragen.
Besondere Bedeutung für russische Werte
Für russische Unternehmen waren ADRs und GDRs von außerordentlicher Bedeutung, da sie den Zugang zu internationalen Kapitalmärkten ermöglichten und gleichzeitig für westliche Anleger eine vertraute und rechtlich abgesicherte Investitionsmöglichkeit darstellten. Große russische Konzerne wie Lukoil, Gazprom, Sberbank, Tatneft, Rosneft oder VTB Bank nutzten diese Instrumente, um ihre Reichweite auf internationale Investoren auszudehnen.
Die Attraktivität lag insbesondere in folgenden Aspekten:
- Rechtssicherheit und Vertrautheit: Westliche Anleger konnten in russische Unternehmen investieren, ohne sich mit den Besonderheiten des russischen Rechtssystems oder den lokalen Abwicklungsverfahren auseinandersetzen zu müssen. Die ADRs und GDRs unterlagen den regulatorischen Bestimmungen der jeweiligen westlichen Börsenplätze.
- Liquidität und Handelbarkeit: Die Wertpapiere konnten an etablierten Börsen wie der New York Stock Exchange, NASDAQ oder europäischen Handelsplätzen gehandelt werden, was deutlich höhere Liquidität als der direkte Handel in Moskau bot.
- Währungskomfort: Dividendenzahlungen und Kursgewinne konnten in US-Dollar oder Euro realisiert werden, ohne dass Anleger sich um Währungsumrechnungen oder Devisenkontrollen kümmern mussten.
Vereinfachte Abwicklung: Wertpapierabwicklung, Verwahrung und Corporate Actions wurden über bewährte westliche Infrastrukturen abgewickelt.
Diese Vorteile machten russische ADRs und GDRs zu einem beliebten Investmentvehicle, das sowohl von institutionellen als auch von privaten Anlegern genutzt wurde. Allein bei deutschen Privatanlegern soll der Bestand an russischen ADRs und GDRs vor dem Krieg mehrere Milliarden Euro betragen haben.
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Problematiken russischer Aktien im globalen Handel an den Kapitalmärkten
Sofortiger Handelsstopp und Aussetzung von Notierungen
Mit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine setzte eine Kaskade von Maßnahmen ein, die den normalen Handel mit russischen Wertpapieren praktisch unmöglich machten. Die Federal Aviation Administration (FAA) blockierte bereits am 2. März 2022 russische Flugzeuge vom US-Luftraum, und ähnliche Maßnahmen folgten in anderen Bereichen. Die großen internationalen Börsen reagierten umgehend:
- Notierungsaussetzung: Börsen wie NYSE, NASDAQ und die London Stock Exchange setzten die Notierung russischer ADRs und GDRs aus. Dies bedeutete faktisch das Ende des börslichen Handels mit diesen Instrumenten.
- Clearingprobleme: Clearinghäuser wie Euroclear und Clearstream stellten die Abwicklung von Transaktionen mit russischen Wertpapieren ein, was den außerbörslichen Handel erheblich erschwerte.
- Delisting-Verfahren: Viele russische Unternehmen wurden vollständig von westlichen Börsen gestrichen, wobei die rechtlichen Verfahren teilweise bis heute andauern.
Einfrierung von Vermögenswerten
Ein zentrales Problem stellte die Einfrierung der zugrundeliegenden russischen Aktien dar. Die US-Sanktionen betrafen insbesondere das russische Zentralverwahrungssystem (National Settlement Depository, NSD), wodurch die normale Verwahrung und Übertragung von Wertpapieren erheblich beeinträchtigt wurde. Die Konsequenzen waren weitreichend:
- Blockierte Vermögenswerte: Die bei russischen Verwahrstellen gehaltenen Aktien, die den ADRs und GDRs zugrundelagen, konnten nicht mehr frei übertragen werden.
- Eingeschränkte Verfügungsgewalt: Selbst wenn Anleger Eigentümer der zugrundeliegenden Aktien waren, konnten sie nicht mehr frei über diese verfügen.
- Unklare Rechtslage: Die rechtliche Zuordnung der Eigentumsrechte wurde durch die verschiedenen nationalen Sanktionsregime erheblich verkompliziert.
Bewertungs- und Liquiditätsprobleme
Die Aussetzung des Handels führte zu erheblichen Bewertungsproblemen: Ohne aktiven Handel gab es keine verlässlichen Marktpreise mehr, was sowohl für die Bewertung von Portfolios als auch für regulatorische Anforderungen problematisch wurde. Assets, die zuvor als hochliquide galten, wurden praktisch illiquid, was insbesondere für institutionelle Anleger mit Liquiditätsanforderungen problematisch war. Etablierte Risikomodelle funktionierten nicht mehr, da sie keine Szenarien für einen kompletten Marktausfall vorsahen.
Bezug zu den fortwährenden Sanktionen der EU, USA und anderer Länder
EU-Sanktionsregime
Das EU-Sanktionsregime gegen Russland basiert hauptsächlich auf der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 betreffend restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, sowie der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren.
Für ADR- und GDR-Inhaber sind insbesondere folgende Bestimmungen von Bedeutung:
Die Maßnahmen bestehen aus Reiseverboten und Finanzmaßnahmen (Vermögenseinfrierung und Verbot der Bereitstellung von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen), die sich nun gegen insgesamt 1.206 Personen und über 108 Organisationen richten, die für die Untergrabung der territorialen Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine verantwortlich sind.
Gemäß Artikel 6b Absatz 5aa der Verordnung (EU) 269/2014 können die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats die Umwandlung einer Hinterlegungsquittung mit russischen zugrunde liegenden Wertpapieren, die beim National Settlement Depository hinterlegt sind, genehmigen. Diese Bestimmung wurde eingeführt, um betroffenen Anlegern unter bestimmten Umständen die Konvertierung ihrer ADRs und GDRs zu ermöglichen.
Die Europäische Kommission wird voraussichtlich bis Freitag, den 12. September 2025, das 19. Sanktionspaket gegen Russland vorschlagen, was zeigt, dass die Sanktionen kontinuierlich erweitert und verschärft werden.
US-Sanktionsregime
Die USA haben ein noch komplexeres Sanktionssystem implementiert:
- OFAC-Regulierungen: Das Ukraine-/Russland-bezogene Sanktionsprogramm stellt die Umsetzung mehrerer rechtlicher Befugnisse dar. Einige dieser Befugnisse haben die Form einer vom Präsidenten erlassenen Durchführungsverordnung. Andere Befugnisse sind öffentliche Gesetze (Statuten).
- General Licenses: Das US-Finanzministerium hat verschiedene General Licenses erlassen, um bestimmte Transaktionen zu ermöglichen. OFAC General License 100A gestattete Abwicklungstransaktionen bis zum 12. Oktober 2024, was vielen Anlegern ermöglichte, ihre ADRs bis zu diesem Stichtag zu konvertieren.
- NSD-Sanktionen: Am 12. Juni 2024 wurden Sanktionen gegen das russische National Settlement Depository (NSD) verhängt, was die Verwahrung und Übertragung von Wertpapieren weiter komplizierte.
Koordinierte internationale Reaktion
- G7-Koordination: Die G7+-Länder haben koordinierte Maßnahmen ergriffen, einschließlich einer Preisobergrenze für russisches Rohöl, wobei sich die genauen Werte zwischen den Ländern unterscheiden.
- Sekundäre Sanktionen: Zunehmend werden auch Drittländer und deren Finanzinstitutionen mit Sanktionen bedroht, wenn sie bei der Umgehung von Russland-Sanktionen helfen.
- Monitoring und Enforcement: Die Durchsetzung der Sanktionen wurde verstärkt, wobei im Juni 2025 vom US-Finanzministerium Strafen von über 215 Millionen Dollar verhängt wurden wegen Verstößen gegen russische Sanktionen.
Die Sanktionen wurden in koordinierter Weise von verschiedenen westlichen Ländern implementiert:
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Problematiken für Inhaber russischer Aktien: Warum der Verkauf so schwierig ist
Rechtliche Beschränkungen
Inhaber russischer ADRs und GDRs sehen sich mit einem komplexen Geflecht rechtlicher Beschränkungen konfrontiert: Jede Transaktion muss auf Konformität mit verschiedenen nationalen Sanktionsregimen geprüft werden. Clearstream Banking verlangt von Kunden, die ADR/GDR-Konvertierungen durchführen möchten, dass sie eine Autorisierung gemäß Artikel 6b(5aa) der Verordnung (EU) 269/2014 erhalten haben und spezifische Informationen bereitstellen.
Banken und Broker müssen extensive Prüfungen durchführen, bevor sie Transaktionen mit russischen Wertpapieren abwickeln können, was den Prozess erheblich verlangsamt und verteuert.
Die hohen Compliance-Kosten führen dazu, dass viele Finanzinstitute Transaktionen mit russischen Wertpapieren vollständig einstellen, wodurch die Zahl der verfügbaren Dienstleister drastisch reduziert wird.
Praktische Hindernisse
- Geschlossene Bücher: Depotbanken wie Citibank haben ihre Bücher für die Stornierung von ADRs geschlossen, wobei verschiedene Programme unterschiedliche Fristen hatten. Beispielsweise schloss Citibank die Bücher für Lukoil, Tatneft, Rostelecom und PhosAgro ADRs am 1. Oktober 2024.
- Technische Infrastruktur: Die Abkopplung russischer Finanzinstitutionen vom SWIFT-System und andere technische Beschränkungen erschweren die Abwicklung von Transaktionen erheblich.
- Währungsprobleme: Aufgrund von Beschränkungen der Zentralbank Russlands ist es Depotbanken derzeit für unbestimmte Zeit untersagt, einen Verkauf der Aktien durchzuführen.
Markttechnische Probleme
- Fehlende Liquidität: Ohne funktionierenden Markt gibt es praktisch keine Käufer für russische Wertpapiere, selbst wenn rechtlich ein Verkauf möglich wäre.
- Preisfindung: Die Bestimmung angemessener Preise ist ohne aktiven Markt nahezu unmöglich, was zu erheblichen Bewertungsrisiken führt.
- Counterparty-Risiko: Die wenigen noch verfügbaren Handelspartner bergen erhebliche Ausfallrisiken.
Steuerliche Komplikationen
- Verlustverrechnung: Die steuerliche Behandlung von Verlusten aus russischen ADRs und GDRs ist in vielen Jurisdiktionen unklar, da es sich um einen beispiellosen Fall handelt.
- Bewertung für Steuerzwecke: Die Bewertung der Wertpapiere für steuerliche Zwecke ist problematisch, wenn keine Marktpreise verfügbar sind.
- Grenzüberschreitende Aspekte: Steuerliche Behandlung wird durch die verschiedenen involvierten Jurisdiktionen (Herkunftsland des Anlegers, USA/Europa als Emissionsort der ADRs/GDRs, Russland als Stamm-Sitzland der Unternehmen) verkompliziert.
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Die Rolle der Russischen Nationalbank (Zentralbank)
Regulatorische Maßnahmen
Die Zentralbank Russlands (CBR) spielte eine zentrale Rolle bei der Implementierung von Gegenmaßnahmen zu den westlichen Sanktionen. Am 2. Oktober 2024 erließ der russische Präsident das Dekret Nr. 840, das vorschreibt, dass alle russischen Verwahrer Aktien russischer Aktiengesellschaften, die in Typ-C-Verwahrungs-konten gehalten werden, direkt vom National Settlement Depository (NSD) zu den entsprechenden Registerstellen russischer Aktiengesellschaften übertragen müssen.
Typ-C-Konten: Aus russischer regulatorischer Sicht werden alle Nicht-Einwohner Russlands aus sogenannten „unfreundlichen Jurisdiktionen“ (d.h. USA, Kanada, EU-Mitgliedstaaten, Großbritannien usw.) in speziellen „Typ-C“-Verwahrungs-konten geführt, die aufgrund einer extrem begrenzten Anzahl autorisierter Transaktionen praktisch eingefroren sind.
Neue Verfahren: Am 3. Oktober 2024 erließ die CBR ihre Entscheidung über die Einrichtung der entsprechenden Verfahren und Fristen für die russischen Verwahrer (CBR-Entscheidung).
Dividenden- und Zahlungssystem
Die Zentralbank hat spezielle Mechanismen für die Behandlung von Dividenden und anderen Zahlungen entwickelt:
Automatische Kontoerstellung: Dividenden können nur auf eine spezielle Typ-„C“-Bankkonto gutgeschrieben werden, das von der russischen Bank eröffnet wird, die die konvertierten Aktien des Kunden hält. Das Konto vom Typ „C“ wird automatisch von der Bank eröffnet, wenn Dividenden zum ersten Mal dem Kunden gutgeschrieben werden.
Zahlungsmechanismen: Das Dekret 198 vom 19. März 2024 etablierte das Verfahren für den Erhalt von wertpapierbezogenen Zahlungen, die bestimmten Kategorien von Inhabern („Berechtigte Inhaber“) aus in Typ-C-Konten blockierten Mitteln geschuldet werden.
Asset-Swap-Mechanismen
Das russische Finanzministerium kündigte im August 2023 die Entwicklung eines Mechanismus zur Freigabe blockierter ausländischer Investitionen und deren Austausch gegen russische Vermögenswerte an, die im Ausland blockiert sind. Dieser Mechanismus soll es ermöglichen:
Gegenseitiger Austausch: Ausländische Investoren sollen ihre blockierten russischen Vermögenswerte gegen russische Auslandsvermögen tauschen können.
Stufenweise Umsetzung: Die erste Stufe soll sich auf Mittel in „Typ-C“-Konten konzentrieren und Privatanlegern zugutekommen, mit einer Obergrenze von 100 Milliarden Rubel (etwa 1 Milliarde Dollar).
Aktuelle Regeln und Fristen für Anleger (Stand September 2025)
Konvertierungsfristen und -verfahren
Abgelaufene Hauptfristen: Alle von Russland festgelegten Konvertierungsfristen sind tatsächlich bereits abgelaufen. Die wichtigsten Fristen waren:
- Oktober 2024: Citibank schloss die Bücher für Lukoil, Tatneft, Rostelecom und PhosAgro ADRs am 1. Oktober 2024, ebenso J.P. Morgan für Rosneft, MTS und andere Unternehmen.
- VK (VKontakte): Die Zwangskonvertierung von VK GDRs begann am 25. September 2024 und endete am 22. Januar 2025.
Aktuelle Ausnahmen (September 2025): Für einige nicht-sanktionierte Emittenten sind freiwillige Stornierungen wieder möglich; für sanktionierte Wertpapiere wie Inter RAO UES oder Rosseti bleiben die Bücher geschlossen. Für Gazprom läuft seit dem 9. Juni 2025 eine automatische Konvertierungsrunde, die vom russischen Zentralverwahrungssystem verwaltet wird.
Kritische laufende Fristen: Für MD Medical Group PLC endet die Konvertierungsfrist am 25. September 2025 – sofortiges Handeln ist unerlässlich. Für Etalon Group und CIAN PLC wurden finale kurze Konvertierungsfenster angekündigt.
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Rechtliche Anforderungen für EU-Anleger
EU-Autorisierung erforderlich: Für jede ADR/GDR-Konvertierungsanweisung müssen Clearstream Banking-Kunden bestätigen, dass sie eine Autorisierung gemäß Artikel 6b(5aa) der Verordnung (EU) 269/2014 erhalten haben.
Erforderliche Angaben:
- Name der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, die die Genehmigung erteilt hat
- Referenznummer der Genehmigung
- Datum der Genehmigung
- Formulierung in der Kundenanweisung: „EU Reg. 269/2014 art. 6b 5aa COMP. License nb: xxxxxx date: dd/mm/yyyy– Issuing NCA: xxxx.“
Deutsche Zuständigkeit: In Deutschland ist die Bundesbank die zuständige Behörde für entsprechende Genehmigungen.
Praktisches Konvertierungsverfahren
Schritt 1 – Kontoeröffnung: Anleger müssen zunächst ein Konto bei einem russischen Broker oder Verwahrer eröffnen. Es ist nicht notwendig, nach Russland zu reisen, um ein solches Konto zu eröffnen, aber es dauert einige Zeit, ein solches Konto einzurichten, da Sie eine beträchtliche Menge an Unterlagen vorlegen müssen.
Schritt 2 – Dokumentation: Umfangreiche Dokumentation muss erstellt und apostilliert werden, einschließlich:
- Identitätsnachweis
- Nachweis der wirtschaftlichen Berechtigung
- Compliance-Erklärungen
- Bankreferenzen
Schritt 3 – Antragsstellung: Der Konvertierungsantrag muss bei der entsprechenden Depotbank (Citibank, J.P. Morgan, etc.) oder direkt beim russischen Registrar gestellt werden.
Schritt 4 – Übertragung: Nach der Konvertierung erhalten Anleger die zugrundeliegenden Aktien auf ihr Verwahrkonto bei einem russischen Verwahrer. Die Konvertierung erfolgt auf freiwilliger Basis und wird deklaratorisch durchgeführt.
Beispiel: Lukoil ADR-Konvertierung
Ein deutscher Anleger, der 1.000 Lukoil ADRs besaß, musste folgendes Verfahren durchlaufen:
Ausgangslage: 1.000 Lukoil ADRs (ISIN: US69343P1057) im Depot bei einer deutschen Bank.
Verfahren:
- Antrag auf EU-Genehmigung bei der Bundesbank (bis 25. September 2023 möglich gewesen)
- Eröffnung eines Typ-C-Kontos bei einem russischen Verwahrer
- Einreichung der Konvertierungsanweisung bei Citibank (Frist: 1. Oktober 2024)
- Konvertierungsverhältnis 1:1, d.h. aus 1.000 ADRs werden 1.000 Lukoil-Stammaktien
Ergebnis: Der Anleger erhält 1.000 Lukoil-Stammaktien auf seinem Typ-C-Konto in Russland.
Einschränkungen: Die Aktien können aufgrund von Beschränkungen der Zentralbank Russlands derzeit nicht verkauft werden. Dividenden werden automatisch auf ein Typ-„C“-Bankkonto gutgeschrieben, aber eine Repatriierung der Mittel ist stark eingeschränkt.
Dividendenansprüche
Fristen für Dividendenansprüche: Anleger haben 3 Jahre ab dem Datum der Hauptversammlung, die die Ausschüttung genehmigt hat, Zeit, um Dividenden zu beanspruchen – aber für viele DR-Programme begann diese Periode bereits 2022, nämlich für Lukoil, Rosneft, Tatneft, etc.
Antragsverfahren: Das Antragsverfahren dauert mindestens 3-6 Monate, daher ist es wichtig, das Verfahren so schnell wie möglich zu beginnen, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass für viele DR-Programme die Frist für die Beantragung von Dividenden im Jahr 2025 abläuft.
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Risiken und Warnungen
Totalverlustrisiko: Für alle oben genannten Programme gilt: Wer die Frist verpasst, riskiert, dass seine DRs als wertlos abgeschrieben werden.
OFAC-Warnungen: OFAC warnt US-Personen, dass Übertragungen gemäß Präsidialdekret 840 zu lokalen russischen Registerstellen „gemäß OFACs Regulierungen als null und nichtig betrachtet werden können“.
Ungewisse Zukunft: Es ist unklar, ob und wie lange dies noch möglich sein wird. Zusätzlich wird die Konvertierung teilweise dadurch erschwert, dass europäische Banken, Broker und Verwahrer den Konvertierungsprozess teilweise blockieren.
Fazit
Die Situation für Inhaber von ADRs und GDRs russischer Unternehmen bleibt auch im September 2025 äußerst komplex und risikobehaftet. Die ursprünglich als liquide und sichere Anlageinstrumente konzipierten Depositary Receipts haben sich durch den Ukraine-Krieg und die darauffolgenden Sanktionen zu einem der schwierigsten Problemfelder im internationalen Finanzwesen entwickelt.
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Zentrale Erkenntnisse:
Die meisten Konvertierungsfristen sind bereits abgelaufen, wobei die letzte große Welle im Oktober 2024 endete. Anleger, die ihre ADRs und GDRs nicht rechtzeitig konvertiert haben, stehen vor der realen Gefahr eines Totalverlusts ihrer Investition. Selbst bei erfolgreicher Konvertierung bleiben die erhaltenen russischen Aktien auf Typ-C-Konten praktisch illiquid und können aufgrund der anhaltenden Sanktionen nicht verkauft werden.
Rechtliche Komplexität: Das Zusammenspiel verschiedener Sanktionsregime (EU, USA, UK) mit russischen Gegenmaßnahmen hat ein nahezu undurchdringliches rechtliches Geflecht geschaffen. Anleger sind auf spezialisierte Rechtsberatung angewiesen und müssen mit erheblichen Compliance-Kosten rechnen.
Ausblick: Russland diskutiert derzeit über einen rechtlichen Mechanismus zur Beschlagnahme von Mitteln aus eingefrorenen Konten ausländischer Investoren. Beamte kalkulieren, dass bereits die Existenz eines solchen Mechanismus die Möglichkeit einer Konfiszierung russischer Vermögenswerte im Westen reduzieren sollte. Dies könnte die Situation für westliche Anleger weiter verschlechtern.
Empfehlungen für betroffene Anleger:
- Sofortiges Handeln bei verbleibenden Fristen: Anleger mit noch konvertierbaren Positionen sollten unverzüglich professionelle Hilfe in Anspruch nehmen und die verbleibenden kurzen Zeitfenster nutzen.
- Steuerliche Verlustverrechnung: Prüfung der Möglichkeiten zur steuerlichen Geltendmachung von Verlusten aus nicht konvertierbaren Positionen.
- Dokumentation sicherstellen: Umfassende Dokumentation aller Transaktionen und Versuche zur Konvertierung für spätere rechtliche Schritte.
- Langfristige Perspektive: Die Situation wird sich voraussichtlich erst mit einer grundlegenden Änderung der geopolitischen Lage und einem Abbau der Sanktionen verbessern, was Jahre oder Jahrzehnte dauern könnte.
Die ADR/GDR-Problematik zeigt exemplarisch, wie geopolitische Krisen auch scheinbar sichere Finanzinstrumente in hochriskante Investments verwandeln können. Für die Zukunft dürfte dies zu einer verstärkten Berücksichtigung von Länder- und Sanktionsrisiken bei internationalen Investitionen führen. Anleger sollten diese Erfahrungen als mahnendes Beispiel für die Bedeutung einer angemessenen Risikostreuung und der sorgfältigen Bewertung geopolitischer Risiken bei ihren Anlageentscheidungen verstehen.
Quellen und weiterführende Links
Energiekanzlei Goldenstein – ADR- und GDR-Umwandlung 2025
https://www.goldenstein-kanzlei.de/leistungen/adr-gdr-umwandlung/ (Stand: Juli 2025)
Spezialisierte deutsche Anwaltskanzlei mit aktuellen Informationen zu Konvertierungsfristen und -verfahren. Bietet detaillierte Übersicht über laufende Programme und kritische Deadlines wie die MD Medical Group PLC-Frist am 25. September 2025.
WEISSWERT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH – Russische ADR/GDR-Umtausch
https://weisswert.de/klage/russische-aktien-adr-anwalt-umtausch/ (Stand: August 2024)
Umfassende rechtliche Beratung und praktische Hilfestellung für betroffene Anleger. Detaillierte Informationen zu Bundesbank-Anträgen und Genehmigungsverfahren gemäß EU-Verordnung 269/2014.
KWAG Recht – ADR auf russische Aktien umwandeln
https://kwag-recht.de/adr-auf-russische-aktien-umwandeln/ (Stand: September 2024)
Aktuelle rechtliche Einschätzung zur Umwandlung russischer ADRs und GDRs mit praktischen Hinweisen zum Depoteröffnungsverfahren und den aktuellen Herausforderungen durch Sanktionen.
AWARR.legal – Spezialisierte Rechtsberatung für russische ADR
https://awarr.legal/cpt-topics/adr-auf-russische-aktien/ (Stand: 2024)
Deutsche Anwaltskanzlei mit Fokus auf grenzüberschreitende Rechtsberatung. Bietet detaillierte Informationen zu Depositary Receipts und den rechtlichen Rahmenbedingungen für die Umwandlung.
Hinweis: Dieser Ratgeber stellt keine Rechts- oder Anlageberatung dar. Betroffene Anleger sollten sich unbedingt von spezialisierten Anwälten und Steuerberatern beraten lassen, da sich die rechtliche Situation kontinuierlich entwickelt und individuelle Umstände berücksichtigt werden müssen.