Kritische Rohstoffe: Ein Drittel der EU-Firmen will sich von China unabhängig machen

Chinas Exportkontrollen für seltene Erden und andere kritische Rohstoffe treiben europäische Unternehmen zur Diversifizierung. Laut aktuellen Umfragen der European Union Chamber of Commerce in China plant rund ein Drittel der befragten Firmen, sich bei der Beschaffung strategisch wichtiger Materialien unabhängiger zu machen – selbst wenn das erhebliche Mehrkosten bedeutet. Gleichzeitig zeigt die jährliche Business Confidence Survey 2025, dass das Geschäftsklima für EU-Unternehmen in China auf einem historischen Tiefpunkt angekommen ist.
Das Wichtigste im Überblick
- Diversifizierung beschleunigt: 32 Prozent der EU-Firmen planen, kritische Rohstoffe von anderen Märkten zu beziehen; 36 Prozent wollen mit Zulieferern außerhalb Chinas Kapazitäten aufbauen
- Rekordpessimismus: 73 Prozent der EU-Firmen berichten von schwierigeren Geschäftsbedingungen in China – der höchste Wert seit Beginn der Erhebung im Jahr 2004
- Hohe Kosten akzeptiert: Ein Unternehmen beziffert die Mehrkosten durch Diversifizierung auf 20 Prozent seines weltweiten Bruttoumsatzes
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Exportkontrollen als Wendepunkt für europäische Lieferketten
Chinas verschärfte Exportkontrollen für seltene Erden und andere kritische Rohstoffe markieren einen Wendepunkt für europäische Unternehmen. Eine aktuelle Blitzumfrage der European Union Chamber of Commerce zeigt: 32 Prozent der befragten Firmen planen, betroffene Güter künftig von anderen Märkten zu beziehen. Weitere 36 Prozent geben an, eine Zusammenarbeit mit Zulieferern außerhalb Chinas aufbauen zu wollen, um dort Produktionskapazitäten zu schaffen.
Seltene Erden wie Neodym, Praseodym oder Dysprosium sind unverzichtbar für Elektroauto-Motoren, Windkraftanlagen und zahlreiche weitere Hightech-Produkte. China kontrolliert etwa 90 Prozent der weltweiten Produktion von Permanentmagneten und hat seit April 2025 die Ausfuhr wichtiger seltener Erden unter eine aufwendige Lizenzpflicht gestellt.
„Chinas Exportkontrollen haben die Unsicherheit für europäische Unternehmen in China weiter erhöht“, sagte Jens Eskelund, Präsident der EU-Kammer in China. Viele Firmen drohten „Produktionsverlangsamungen oder sogar -stopps“, warnte er.
Erhebliche Mehrkosten für mehr Unabhängigkeit
Die Diversifizierung der Lieferketten kommt die Unternehmen teuer zu stehen. Ein befragtes Unternehmen schätzt, dass durch die Neuausrichtung seiner Beschaffung zusätzliche Kosten in Höhe von 20 Prozent seines weltweiten Bruttoumsatzes entstehen. Dennoch sind viele Firmen bereit, diesen Preis für mehr Planungssicherheit und geopolitische Unabhängigkeit zu zahlen.
Die Umfrage zeigt das Ausmaß der Abhängigkeit: 24 Prozent der EU-Firmen produzieren in China Waren, die von Exportkontrollen betroffen sind oder künftig sein werden. Noch gravierender: 68 Prozent erklärten, dass ihre Produktionsstätten außerhalb Chinas auf Vorprodukte aus der Volksrepublik angewiesen sind.
Bürokratische Hürden und Sorgen um geistiges Eigentum
Die praktischen Probleme gehen über die reine Verfügbarkeit hinaus. 40 Prozent der befragten EU-Firmen gaben an, dass die chinesischen Behörden die versprochenen 45 Tage Bearbeitungszeit für Exportgenehmigungen nicht einhalten. Die Verzögerungen führen zu verlängerten Lieferzeiten und zusätzlichen Kosten.
Hinzu kommt eine weitere Sorge: 11 Prozent der Unternehmen fürchten, im aufwendigen Antragsverfahren beim Handelsministerium sensible Informationen über ihr geistiges Eigentum preisgeben zu müssen. Diese Bedenken verstärken den Trend zur Diversifizierung zusätzlich.
Geschäftsklima erreicht historischen Tiefpunkt
Die Probleme bei kritischen Rohstoffen fügen sich in ein umfassendes Bild verschlechterter Geschäftsbedingungen. Die am 28. Mai 2025 veröffentlichte jährliche Business Confidence Survey der European Union Chamber of Commerce in China, erstellt in Partnerschaft mit Roland Berger, dokumentiert einen beispiellosen Vertrauensverlust. Zwischen Januar und Februar 2025 wurden 503 europäische Unternehmen befragt.
Die Zahlen sind eindeutig: 73 Prozent der EU-Firmen berichten von schwierigeren Geschäftsbedingungen – ein neuer Höchstwert und das vierte Jahr in Folge mit steigender Tendenz. Lediglich 12 Prozent der befragten Firmen zeigen sich optimistisch hinsichtlich ihrer kurzfristigen Profitabilität, nur 29 Prozent blicken positiv auf ihre mittelfristigen Wachstumsaussichten. Beide Werte markieren historische Tiefstände seit Beginn der jährlichen Erhebung im Jahr 2004.
„Unsicherheit durch eskalierende Handels- und geopolitische Spannungen, Sorgen um Chinas Binnenwirtschaft und anhaltende Erzeugerpreisdeflation belasten sowohl europäische als auch chinesische Unternehmen“, erklärte Eskelund.
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Wirtschaftsabschwächung und politisiertes Umfeld
71 Prozent der Befragten erwarten, dass die wirtschaftliche Verlangsamung Chinas ihre Geschäfte in den nächsten zwei Jahren negativ beeinflussen wird. Die Deflation im Erzeugerbereich, nachlassende Binnennachfrage und verstärkter Wettbewerbsdruck durch chinesische Konkurrenten setzen den europäischen Firmen zu.
Besonders besorgniserregend: 52 Prozent der Unternehmen berichten, dass das Geschäftsumfeld 2024 stärker politisiert wurde – eine direkte Folge der verschärften geopolitischen Spannungen zwischen China, Europa und den USA. Da die Umfrage vor den US-chinesischen Zollerhöhungen im April 2025 durchgeführt wurde, dürfte dieser Wert inzwischen noch höher liegen.
Hinzu kommen konkrete operative Hürden: 63 Prozent der befragten Firmen verpassten 2024 Geschäftschancen aufgrund von Marktzugangsbeschränkungen und regulatorischen Barrieren – ein Anstieg um fünf Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr und ebenfalls ein neuer Rekordwert. 44 Prozent erwarten, dass die Zahl der regulatorischen Hindernisse in den kommenden fünf Jahren weiter zunehmen wird.
Unternehmen zwischen Onshoring und Diversifizierung
Angesichts dieser Herausforderungen überdenken viele europäische Firmen ihre Strategien grundlegend. Die Umfrage zeigt eine bemerkenswerte Entwicklung: 26 Prozent der Unternehmen lagern ihre Lieferketten teilweise oder vollständig nach China (Onshoring), während 13 Prozent alternative Beschaffungswege außerhalb Chinas aufbauen.
Diese scheinbar widersprüchlichen Bewegungen haben unterschiedliche Motivationen. Unternehmen, die nach China verlagern, nutzen die nach wie vor wettbewerbsfähigen chinesischen Lieferketten und reagieren auf Lokalisierungsanforderungen, um den heimischen Markt besser zu bedienen. Gleichzeitig bauen Firmen, die diversifizieren, ihre Abhängigkeit von einzelnen Lieferregionen ab und erhöhen die Resilienz ihrer Versorgung.
„Unternehmen spüren wirklich den Druck und sind pessimistisch, finden aber gleichzeitig sehr überzeugende Lieferketten in China vor, die eine fortgesetzte Präsenz auf dem chinesischen Markt erforderlich machen“, kommentierte Eskelund die Entwicklung gegenüber Reportern.
Investitionszurückhaltung und Kostendruck steigen
Die Unsicherheit schlägt sich auch in den Investitionsplänen nieder. Nur 38 Prozent der Unternehmen planen eine Ausweitung ihrer China-Aktivitäten – ein historischer Tiefstand. 36 Prozent haben keine entsprechenden Pläne, der Rest ist unentschieden.
Gleichzeitig erreicht der Kostendruck Rekordniveau: 52 Prozent der befragten Firmen planen Kostensenkungen – damit wird der Vorjahresrekord eingestellt. Viele Unternehmen fokussieren sich nicht mehr primär auf Marktanteilsgewinne, sondern auf die Sicherung bestehender Geschäfte und die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit ihrer Operationen.
Fast die Hälfte der Befragten berichtet zudem, dass ihre chinesischen Zulieferer selbst Produktionskapazitäten in andere Märkte verlagern – ein Hinweis darauf, dass die Diversifizierungstrends die gesamte Lieferkette erfassen.
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Europas Kampf um Rohstoffsouveränität
Die Entwicklungen in China haben direkte Auswirkungen auf die europäische Wirtschafts- und Industriepolitik. Die Europäische Union hat mit dem Critical Raw Materials Act bereits Schritte zur Diversifizierung von Lieferketten eingeleitet, die häufig von China dominiert werden. Deutschland bezieht beispielsweise 65,5 Prozent seiner seltenen Erden aus China.
Für europäische Unternehmen bedeutet die Diversifizierung zunächst erheblich höhere Beschaffungskosten. Alternative Lieferanten in Südostasien, Lateinamerika oder Afrika können oft nicht dieselbe Kombination aus Qualität, Preis und Liefergeschwindigkeit bieten wie etablierte chinesische Produzenten. Dennoch sind viele Firmen bereit, diese Mehrkosten zu tragen, um geopolitische Risiken zu reduzieren und regulatorischen Anforderungen zu genügen.
„Eine neue, stärker fragmentierte Globalisierung nimmt Gestalt an, während sich Chinas Wirtschaft mit langsameren Wachstum und größerem Wettbewerb stabilisiert – dies signalisiert Transformation statt Niedergang“, erklärte Denis Depoux, Global Managing Director von Roland Berger. „Diese sich entwickelnde Landschaft stellt multinationale Unternehmen vor neue Herausforderungen und erfordert hochgradig lokalisierte China- und Asien-Operationen.“
Handlungsempfehlungen an die Politik
Die European Chamber richtet klare Botschaften an politische Entscheidungsträger auf beiden Seiten. An China appelliert Eskelund: „Unsere Kernbotschaft an die politischen Entscheidungsträger lautet: Die Diskrepanz zwischen Angebotswachstum und Nachfrage untergräbt sowohl Gewinne als auch Geschäftsvertrauen. Eine bessere Balance zu erreichen würde nicht nur Unternehmen nützen und China zu einem attraktiveren Investitionsstandort machen, sondern könnte auch zu einer Verringerung der Handelsspannungen führen.“
An Europa geht die Empfehlung, den eingeschlagenen Weg der kontrollierten Diversifizierung fortzusetzen und eigene Raffinerie- und Verarbeitungskapazitäten für kritische Rohstoffe aufzubauen. Experten schätzen allerdings, dass neue europäische Abbau- und Raffinierungsprojekte frühestens in fünf bis sieben Jahren produktionswirksam werden.
Fazit: Strategische Neuausrichtung in unsicheren Zeiten
Die Business Confidence Survey 2025 und die begleitende Blitzumfrage zu Exportkontrollen dokumentieren einen fundamentalen Wendepunkt in den europäisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen. Nach Jahrzehnten des weitgehend ungebremsten Wachstums europäischer Geschäfte in China dominieren nun Vorsicht, Risikomanagement und strategische Neuausrichtung das Bild.
Die Unternehmen befinden sich in einem komplexen Balanceakt: Einerseits bleiben chinesische Lieferketten wettbewerbsentscheidend, andererseits erfordern geopolitische Risiken, Exportkontrollen und wirtschaftliche Herausforderungen eine konsequente Diversifizierung. Besonders bei kritischen Rohstoffen und seltenen Erden wird der Aufbau alternativer Lieferketten zur strategischen Notwendigkeit – trotz erheblicher Mehrkosten.
Der Trend zur geografischen Streuung dürfte sich in den kommenden Jahren verstärken. Für europäische Unternehmen bedeutet dies: Die China-Strategie muss flexibel bleiben, alternative Beschaffungswege müssen kontinuierlich entwickelt werden, und die Bereitschaft, höhere Kosten für mehr Unabhängigkeit zu tragen, wird zum neuen Standard. Ob China den Vertrauensverlust umkehren kann, hängt maßgeblich davon ab, ob konkrete Verbesserungen im Geschäftsumfeld und mehr Verlässlichkeit bei Exportgenehmigungen folgen.
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Quellen und weiterführende Links