BYDs Preiskrieg erschüttert die Automobilwelt: Ein Evergrande-Moment für Chinas E-Auto-Boom?
Was als strategische Preisoffensive begann, entwickelt sich zur existenziellen Bedrohung für Chinas gesamte Automobilindustrie. BYDs drastische Preissenkungen von bis zu 30 Prozent bei über 20 Modellen Ende Mai 2025 haben eine Kettenreaktion ausgelöst, die Branchenexperten bereits mit dem Kollaps des Immobilienriesen Evergrande vergleichen. Während der chinesische E-Auto-Gigant seine Verkaufsziele für 2025 zu erreichen versucht, warnen Analysten vor einem systemischen Risiko, das weit über Chinas Grenzen hinausreicht und globale Anleger in Alarmbereitschaft versetzt.
Das Wichtigste im Überblick:
- Preiskrieg eskaliert: BYD senkte Ende Mai 2025 die Preise für 22 Modelle um bis zu 34 Prozent – der Kleinwagen Seagull kostet jetzt nur noch 7.780 Euro
- Systemische Risiken: Ein Drittel der börsennotierten chinesischen Autohersteller weist höhere kurzfristige Verbindlichkeiten als liquide Mittel auf – Analysten warnen vor einem „Evergrande-Moment“
- Globale Auswirkungen: Europäische Autobauer könnten paradoxerweise profitieren, da der Preiskampf chinesische Konkurrenten schwächt
- Marktkonsolidierung: Von den etwa 170 chinesischen Automarken werden nach Experteneinschätzung nur 5 bis 7 überleben
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BYDs verzweifelte Flucht nach vorn
Der Elektroauto-Weltmarktführer BYD verfolgt eine klare, aber riskante Strategie: Nach nur 1,38 Millionen verkauften Einheiten in den ersten vier Monaten musste der Konzern drastisch handeln, um sein ambitioniertes Verkaufsziel von 5,5 Millionen Fahrzeugen für 2025 zu erreichen. Die Preissenkungen sind beispiellos in ihrer Aggressivität – die Mittelklasselimousine Seal kostet nach einem Rabatt von 34 Prozent nur noch umgerechnet 12.500 Euro, ein direkter Angriff auf Teslas Model 3 zum halben Preis.
BYD kann sich diese Strategie dank seiner vertikalen Integration leisten: Der Konzern produziert über 90 Prozent seiner Batterien selbst und profitiert von massiv gesunkenen Lithiumpreisen, die von 72.000 auf 7.200 Euro pro Tonne gefallen sind. Diese Kostenvorteile verschaffen dem Unternehmen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber kleineren Konkurrenten.
Dominoeffekt mit verheerenden Folgen
Die Reaktion der Konkurrenz ließ nicht lange auf sich warten: Chongqing Changan kündigte einen Barrabatt von 25.000 Yuan für sein Modell Deepal S07 an, während Zhejiang Leapmotor Technologies die Preise für mehrere SUV-Modelle anpasste. Doch die Auswirkungen gehen weit über normale Marktdynamiken hinaus.
Besonders alarmierend ist die Zahlungsmoral der Hersteller: BYD und Geely lassen Lieferanten im Schnitt 127 Tage warten, Great Wall und SAIC noch länger, um ihre Rechnungen zu begleichen. Diese Praxis stranguliert den Cashflow der gesamten Zuliefererkette und bedroht deren Existenz.
Bis Ende April 2025 lagerten landesweit 3,5 Millionen unverkaufte Neuwagen auf Halde – ein historischer Höchststand, der fast der gesamten monatlichen PKW-Produktion Chinas entspricht. Händler greifen bereits zu illegalen Methoden, indem sie Fahrzeugpapiere fälschen und Kilometerstände manipulieren, um Neuwagen als Gebrauchtwagen zu verkaufen und Preiskontrollen zu umgehen.
Verschleierte Schuldenrisiken alarmieren Experten
Hinter den offiziellen Bilanzen verbergen sich erschreckende Realitäten. Rund ein Fünftel aller chinesischen Automobilhersteller weist eine Debt-to-Equity-Ratio von über 70 Prozent auf, darunter BYD mit offiziell 74,6 Prozent und Geely mit 88,6 Prozent. Doch Brancheninsider warnen vor massiven Off-Balance-Sheet-Konstruktionen.
GMT Research weist darauf hin, dass BYDs tatsächliche Verbindlichkeiten sich eher auf 323 Milliarden Yuan (etwa 47,5 Milliarden US-Dollar) belaufen, während die offiziellen Zahlen lediglich 27,7 Milliarden Yuan ausweisen. Diese weit auseinanderklaffenden Zahlen bergen ein erhebliches Liquiditäts- und Kreditrisiko, sollten Margenschrumpfungen und steigende Zinsen weiter anhalten.
Börsen reagieren mit Panikverkäufen
Die Kapitalmärkte spiegeln die Nervosität der Anleger wider. Die BYD-Aktie (WKN: A0M4W9) verlor nach Bekanntgabe der Preissenkungen 9 Prozent, während Konkurrenten wie Li Auto, Great Wall Motor und Geely um mehr als 5 Prozent einbrachen. Paradoxerweise verzeichneten europäische Autobauer leichte Kursgewinne, da Anleger auf eine Schwächung der chinesischen Konkurrenz setzen.
Kursentwicklung der wichtigsten chinesischen E-Auto-Aktien für europäische Anleger:
BYD
BYD zeigt trotz der aktuellen Krise immerhin die stärkste Performance unter den chinesischen E-Auto-Titeln. Seit Jahresbeginn 2025 legte die Aktie um beeindruckende 51,13 Prozent zu, erreichte am 23. Mai 2025 ein 52-Wochen-Hoch von 17,45 Euro und notiert aktuell etwa 15,87 Prozent darunter. Am 13. Juni 2025 durchbrach die Aktie allerdings die wichtige 100-Tage-Linie nach unten bei 14,60 Euro, was den Beginn einer technischen Korrektur signalisierte. Die 30-Tage-Performance liegt bei +3,55 Prozent.
NIO
NIO (WKN: A2N4PB) verzeichnete eine deutlich schwächere Entwicklung. Das erste Quartal 2025 enttäuschte mit nur 30.000-33.000 ausgelieferten Fahrzeugen, während die Wall Street 44.000 erwartet hatte. Analysten prognostizieren für die kommenden Monate Kurse zwischen 3,29-3,57 USD. 27 Analysten bewerten die Aktie dennoch mit einem durchschnittlichen Kursziel von 4,87 USD, was 35 Prozent Aufwärtspotenzial signalisiert. Das Unternehmen ist auch über ein Zweitlisting in Hongkong (WKN: A2N4PC) für europäische Anleger zugänglich.
Xpeng
XPeng (WKN: A2QBX7) erlebte die schwierigste Phase aller drei Titel. Die Jahresperformance beträgt minus 42,26 Prozent, wobei die 30-Tage-Performance mit minus 8,57 Prozent die anhaltende Schwäche zeigt. Von ihrem 52-Wochen-Hoch bei 22,00 Euro ist die Aktie um 65,09 Prozent gefallen und notiert aktuell bei 7,48 Euro. Dennoch liegt sie 23,87 Prozent über dem 52-Wochen-Tief von 6,20 Euro vom April 2024. Analysten bewerten die Aktie mit einem Rating von 4,00 von 5 Punkten, wobei 45 Prozent ein „Strong Buy“ aussprechen.
Bei anderen chinesischen E-Auto-Herstellern zeigten sich diese Entwicklungen mit Kursrückgängen von bis zu 22 Prozent bei Hozon und etwa 10 Prozent bei Geely. Diese Verluste reflektieren die existenziellen Ängste der Investoren angesichts eines sich verschärfenden Preiskriegs.
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Globale Auswirkungen erreichen Europa
Der Preisdruck macht nicht an Chinas Grenzen halt, sondern erreicht zunehmend auch osteuropäische und südeuropäische Märkte. Europäische OEMs geraten angesichts größerer Stückkosten in einen Margenkampf, der nur durch konsequente Automatisierung und Lokalisierung gemeistert werden kann.
Autoexperte Matthias Schmidt warnt: „Die Absätze in Europa subventionieren im Wesentlichen den Preiskrieg in China.“
Chinesische Hersteller nutzen die höheren Exportpreise, um die Verluste im heimischen Markt zu kompensieren. Dies führt zu einer Marktverfälschung, die auch europäische Verbraucher indirekt belastet.
Entsprechende Gegenmaßnahmen zeichnen sich bereits ab: Der Bau neuer Factory-Standorte in Salzgitter, Brandenburg und anderen Regionen soll Transport- und Zollkosten senken, während die EU selektive Importzölle oder Mindestpreisregelungen diskutiert.
Zulieferindustrie in der Abwärtsspirale
Die bislang oft als Gewinnerin des E-Mobilitätsbooms gehandelte Zulieferindustrie spürt nun massiven Gegenwind. Im Jahr 2024 berichteten 69 von 100 Top-Zulieferern rote Zahlen, ihr Umsatz ging um 4,6 Prozent auf 1,085 Billionen Euro zurück.
Besonders dramatisch traf es die Batteriehersteller: CATL erlebte ein Umsatzminus von 12,7 Prozent, LG Electronics sogar 28,3 Prozent und Samsung SDI 41,5 Prozent. Der Wechsel zu softwaredefinierten Fahrzeugen verlagert die Wertschöpfung zugunsten von Over-the-Air-Updates und KI-gestützter Sensorik, wodurch klassische Komponentenlieferanten ihre Existenz riskieren.
Analysten warnen vor Evergrande-Szenario
Die Parallelen zur Immobilienbranche vor deren Absturz sind unübersehbar. Das Nettoumlaufvermögen der 16 größten Autobauer sackte bis Jahresende auf 14,5 Milliarden US-Dollar ab – ein Rückgang um 62 Prozent gegenüber 2021.
Wei Jianjun, der Chef des Autoherstellers Great Wall Motor, warnte bereits von einem „Evergrande der Autoindustrie“, der noch nicht explodiert sei. Ein Kommentar im Finanzmedium Caixin identifizierte fünf zentrale Risiken: sinkende Rentabilität der Zulieferer, chaotische Marktbedingungen, schrumpfende Gewinnmargen, der Rückzug ausländischer Hersteller und die Ausbreitung des destabilisierenden Wettbewerbs auf globale Märkte.
Szenarien für Anleger: Drei Wege in die Zukunft
Vor diesem Hintergrund wird das nächste Quartal für die gesamte Branche zur Wegscheide. Drei Szenarien zeichnen sich ab:
- Optimistisches Szenario: Eine starke Förderpolitik in der EU führt gemeinsam mit Marktkonsolidierung zu einer robusten europäischen Autoindustrie mit fairen Preisen. Staatliche Interventionen in China stabilisieren den Markt.
- Moderates Szenario: Ein Zweiklang aus Premium-Segmenten und günstigeren Modellen etabliert sich, selektive Zölle deckeln den chinesischen Exportdruck. 5-7 chinesische Hersteller überleben die Konsolidierung.
- Pessimistisches Szenario: China verschärft den Preisdump, Handelskonflikte eskalieren. Eine Welle von Fusionen und Übernahmen folgt, begleitet von massiven Arbeitsplatzverlusten bei Zulieferern und einem systemischen Kollaps ähnlich dem Evergrande-Moment.
Handlungsempfehlungen für Anleger
Für europäische Anleger handelbare chinesische E-Auto-Aktien:
- BYD (WKN: A0M4W9) bleibt trotz der aktuellen Turbulenzen die defensivste Wahl unter den chinesischen E-Auto-Titeln. Das Unternehmen verfügt über eine vertikale Integration von über 90 Prozent bei der Batterieproduktion und kann dank gesunkener Lithiumpreise aggressive Preisstrategien fahren. Mit einer 10-Jahres-Performance von 643,8 Prozent und solidem operativen Geschäft gilt BYD als wahrscheinlicher Überlebender der Marktkonsolidierung.
- NIO (WKN: A2N4PB) bietet mit einem Kurs-Umsatz-Verhältnis von 0,48-0,62 eine attraktive Bewertung deutlich unter dem Branchendurchschnitt. Das innovative Batteriewechselsystem und die Fokussierung auf Premium-Fahrzeuge differenzieren NIO von der Konkurrenz. Allerdings besteht bei der US-ADR das Delisting-Risiko, weshalb europäische Anleger das Hongkong-Listing (WKN: A2N4PC) bevorzugen sollten.
- XPeng (WKN: A2QBX7) punktet mit fortschrittlicher Software-Integration und autonomen Fahrtechnologien. Die jüngsten Quartalszahlen übertrafen die Erwartungen, und das Unternehmen expandiert erfolgreich in europäische Märkte. Bei einem aktuellen Kurs von 17,05 Euro und einem Analysten-Rating von 4,0/5 Punkten bietet XPeng spekulativen Anlegern Chancen auf überproportionale Gewinne.
Für Fahrzeughersteller lautet die zentrale Aufgabe, Zellproduktion im eigenen Haus auszubauen, Plattformkosten weiter zu senken und den ESG-Fokus zu schärfen. Zulieferer müssen parallel Software-Kompetenzen aufbauen und neue Geschäftsfelder wie E-Bikes oder stationäre Energiespeicher erschließen.
Investoren sollten Bilanzen auf Transparenz prüfen und bei OTC-Titeln auf Liquidität achten, während die Politik klare Spielregeln für fairen Wettbewerb setzen muss. Die entscheidende Frage für 2025 und 2026 wird sein, welcher Hersteller den Massenmarkt mit günstigen Elektroautos fluten kann.
Aktie | ISIN | Marktkapitalisierung | Rendite 1 Jahr | Rendite 3 Jahre |
---|---|---|---|---|
BYD | CNE100000296 | 72,7 Mrd. Euro | 44,8% | 2,2% |
NIO | US62914V1061 | 6,74 Mrd. Euro | -29,0% | -85,6% |
Xpeng | US98422D1054 | 12,1 Mrd. Euro | 119,2% | 48,6% |
Quelle: comdirect.de / Stand: 07.2025 |
Fazit: Zeitenwende in der Automobilindustrie
BYDs Preiskrieg markiert einen Wendepunkt in der globalen Automobilindustrie. Was als Kampf um Marktanteile begann, könnte in einem systemischen Kollaps münden, der die gesamte Branche transformiert. Ob europäische Entscheider diese Herausforderungen nutzen oder den chinesischen Wettbewerbern das Feld überlassen, wird die Zukunft der Elektromobilität entscheiden.
Für Anleger bedeutet dies: Selektive Investitionen in finanziell robuste Unternehmen mit diversifizierten Geschäftsmodellen, während hochverschuldete Pure-Play-E-Auto-Titel gemieden werden sollten. Die kommenden Monate werden zeigen, ob Chinas E-Auto-Boom in einem kontrollierten Übergang oder einem chaotischen Kollaps endet – mit Auswirkungen, die weit über die Automobilindustrie hinausreichen werden.
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Weiterführende Links und Quellen