Insolvenzantrag der EV Digital Invest AG: Wenn die Crowdinvestment-Plattform ins Wanken gerät
Ein Sommer, der Investoren in Atem hält: Am 4. Juli 2025 reichte die börsennotierte EV Digital Invest AG, Lizenzpartner der Engel & Völkers Marken GmbH & Co. KG, beim Amtsgericht Charlottenburg einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung ein. Die Ursache für diesen Schritt liegt im Zerwürfnis mit der Mehrheitsaktionärin, dem Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin, das eine vertraglich zugesagte Darlehensauszahlung verweigerte. Die Nachricht traf Anleger und Marktbeobachter gleichermaßen mit voller Wucht und wirft Fragen zu Haftungsrisiko, Plattformvertrauen und den Zukunftsaussichten auf.
Das Wichtigste im Überblick
- Einreichung des Insolvenzantrags in Eigenverwaltung am 4. Juli 2025 beim Amtsgericht Charlottenburg (Aktenzeichen 16 IN 1000/25).
- Grund: Verweigerung einer vertraglich vereinbarten Darlehensauszahlung durch das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin, Mehrheitsaktionär seit 2023.
- Tausende privater Anleger stehen vor ungewissen Rückzahlungs- und Schadensersatzforderungen.
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Hintergründe der Insolvenz
Die EV Digital Invest AG startete 2020 als Schwarmfinanzierungsplattform mit dem Versprechen, private Kleinanleger an ausgewählten Immobilienprojekten direkt zu beteiligen. Bis 2024 wurden über 230 Mio. EUR an Nachrangdarlehen vermittelt und erste Projekte erfolgreich abgeschlossen. Doch nach einer Phase gestiegener Projektausfälle und intensiver Rechtsstreitigkeiten mit Anlegergemeinschaften verschlechterte sich die Liquidität zusehends.
Die Gesellschaft hatte zuletzt Restrukturierungsmaßnahmen eingeleitet und eine stabilisierte operative Situation verkündet. Eingeleitete Restrukturierungsmaßnahmen zeigten Wirkung und die Projekt-Pipeline verbesserte sich spürbar in Qualität und Umfang. Dann kam der entscheidende Schlag: Ein außerordentlicher Einmalbetrag musste fristgerecht beglichen werden – die zugesagten Mittel blieben aus. Eine erste Anzahlung auf die jeweiligen Vergleichssummen wurde bereits Ende Mai geleistet. Die größere Schlusszahlung sollte bis spätestens 30. Juni 2025 bei den Geschädigten ankommen. Einige Gerichtsverfahren gegen die Plattform endeten zwar mit Vergleichszahlungen, doch die finale Tranche blieb offen.
Streitpunkte mit dem Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin
Im Zentrum des Konflikts steht ein Darlehensvertrag, den das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin (VZB) mit der EV Digital Invest AG abgeschlossen hatte. Laut Vorstand führte das VZB eine bereits zugesagte Auszahlung „ohne Angabe von Gründen und überraschend ohne Vorankündigung“ nicht durch. Frühere Tranchen seien stets fristgerecht geleistet worden, und der aktuelle Zahlungsanspruch sei in der von der VZB-Führung selbst unterzeichneten Vertragsfassung festgeschrieben.
Nach Einschätzung der anwaltlichen Berater der Gesellschaft handelt es sich bei der Zahlungsverweigerung um eine vorsätzliche Verletzung des Darlehnsvertrages sowie einen Treuepflichtverstoß der Mehrheitsaktionärin gegenüber der Gesellschaft.
Stellungnahme des Versorgungswerks
Das VZB teilte mit, mit Bedauern zur Kenntnis genommen zu haben, dass die EV Digital Invest AG einen Insolvenzantrag stellen musste. Unzutreffend sei jedoch die Darstellung, das VZB trage Mitverantwortung für diese Insolvenz oder deren Folgen. Es sei die „ausdrückliche Verpflichtung, das Vermögen der Mitglieder des VZB vor nicht tragbaren Risiken zu schützen“. Die Geschäftsleitung und der Verwaltungsausschuss des VZB hätten sich gegen eine Auszahlung weiterer Mittel ausgesprochen, um das Vorsorgevermögen vor spekulativen Engagements zu schützen.
Gerichtsentscheidung
Anfang Juli lehnte das Landgericht Berlin II einen Eilantrag der EVDI ab. Das Gericht kam zu der Auffassung, dass der „Darlehensvertrag bei summarischer Prüfung als rechtsunwirksam anzusehen sei und die EV Digital Invest keine Auszahlung des Darlehens verlangen könne“.
Hintergrund des Versorgungswerks
Das VZB verwaltete zuletzt ein Kapitalanlagevermögen von ca. 2,2 Mrd. € zur Sicherung der Altersversorgung seiner mehr als 10.000 Mitglieder und verfügte zum 31.12.2023 über eine Reserve von 145 Mio. €. Das Versorgungswerk steht jedoch seit Längerem in der Kritik wegen fragwürdiger Beteiligungen und Fehlinvestitionen, die zu erheblichen Abschreibungen führten. Externe unabhängige Fachleute wurden beauftragt, die bisherigen Abläufe eingehend zu analysieren und konkrete Handlungsempfehlungen abzuleiten.
Details zum Insolvenzantrag und Aktenzeichen
Am 4. Juli 2025 reichte der Vorstand beim Amtsgericht Charlottenburg den Insolvenzantrag in Eigenverwaltung ein. Das Verfahren trägt das Aktenzeichen 16 IN 1000/25. Damit möchte die Gesellschaft ihre Vermögenslage ordnen und gemeinsam mit einem geplanten Sachwalter eine bestmögliche Befriedigung der Gläubiger erreichen. Die Gesellschaft kooperiert ausdrücklich mit den zuständigen Verfahrensbeteiligten und strebt eine Fortführung der Plattform unter neuen finanziellen Voraussetzungen an.
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Betroffene und nicht betroffene Einheiten innerhalb der Engel & Völkers Gruppe (inkl. EV Digital Invest Asset AG)
Betroffene Gesellschaften
- EV Digital Invest AG: Die börsennotierte AG betreibt die Crowdinvesting-Plattform für Immobilien-Nachrangdarlehen. Sie hat am 4. Juli 2025 beim Amtsgericht Charlottenburg (Az. 16 IN 1000/25) einen Insolvenzantrag in Eigenverwaltung gestellt.
- EV Digital Invest Asset AG: Eigenständige Aktiengesellschaft für Tagesgeld- und Liquiditätslösungen der Plattform-Anleger via Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin (Einlagensicherung). Auch sie hat zeitgleich einen Insolvenzantrag gestellt; genaue Aktenzeichen stehen noch aus.
- Projekt-SPVs der Crowdinvestings: Die für einzelne Finanzierungsrunden gegründeten GmbHs und GmbH & Co. KGs (z. B. Atelier-Wohnungen an der Burg II, WGS Immobilien- und Beteiligungs GmbH, Moderne Wohnen am Nymphenburger Kanal II) sind Teil der Insolvenzmasse oder laufen in parallelen Abwicklungsverfahren.
- EV Digital Invest Services GmbH : Tochtergesellschaft für Vertrags- und Zahlungsabwicklung der Plattform. Sie ist operativ eng mit der Mutter verflochten und gehört zur Insolvenz.
- EV Digital Invest Marketing GmbH: Service-GmbH für Marketing und Vertrieb der Crowdinvesting-Projekte. Aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtung wird auch sie vom Verfahren erfasst.
Nicht betroffene Gesellschaften
- Engel & Völkers Residential GmbH: Klassische Wohnimmobilienvermittlung; rechtlich und operativ unabhängig von den Digital-Investitionen.
- Engel & Völkers Commercial GmbH: Gewerbliche Immobilienberatung; eigene Bilanz und Geschäftsführung, keine Haftung für Digital-Invest-Einheiten.
- Engel & Völkers Yachting GmbH: Vermittlung und Charter von Yachten; nicht im Crowdinvesting-Bereich aktiv.
- Engel & Völkers Aviation GmbH: Flugzeugvermittlung und -consulting; komplett abgekoppelt von den Digital-Finanzierungstöchtern.
- Engel & Völkers Marken GmbH & Co. KG: Lizenz- und Markenmanagement; hält Rechte an der Marke, aber keine Finanzverflechtungen zu den insolventen Gesellschaften.
- Engel & Völkers AG (Holding): Konzernsteuerung und Strategie ohne operative Einbindung in die digitalen Asset- und Crowdinvesting-Geschäfte.
- Franchise- und Lizenzpartner: Rund 900 lokale Maklerbüros weltweit sowie Franchise-Einheiten agieren eigenständig und sind nicht Teil des Insolvenzverfahrens.
Tausende Privatanleger, die in Nachrangdarlehen investierten, sehen sich nun mit mehreren Unsicherheiten konfrontiert:
Insolvenzquote unklar: Nachrangforderungen rangieren am Ende der Gläubigerliste. Eine Vollbefriedigung erscheint unwahrscheinlich.
Schadensersatzansprüche: Erste Gerichtsentscheidungen haben EV Digital Invest bereits zur Rückzahlung investierter Beträge für bestimmte Projekte verurteilt. Anleger prüfen nun, ob sie zusätzlich Schadensersatz wegen falscher Prospektangaben geltend machen können.
Konkrete Gerichtsurteile: Das Landgericht Berlin II hat am 26. Juli 2024 in gleich drei Urteilen entschieden, dass die EV Digital Invest AG umfassenden Schadensersatz an betrogene Anleger des Projekts „Atelier-Wohnungen an der Burg II“ zahlen muss. Den Klägern wird ihr gesamter Einsatz abzüglich minimaler Zinszahlungen vollständig erstattet.
KapMUG-Verfahren: Im Dezember 2024 entschied das Landgericht Berlin II, dass der „Musterverfahrensantrag nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz im Musterverfahrensregister des Bundesanzeigers bekannt zu machen“ ist. Über 70 geschädigte Anleger des Projekts „Modernes Wohnen am Nyphenburger Kanal II“ werden von der Kanzlei Witt Rechtsanwälte betreut.
Verzugszinsen: Nach den Urteilen muss der Schadensersatz mit dem gesetzlichen Verzugszins von 5-Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verzinst werden – seit 01.01.2025 entspricht das 7,27% jährlich, davor waren es sogar 8,37%.
Kommunikationsdefizite: Mit der Gesellschafterstruktur bricht eine zentrale Schnittstelle weg. Anleger fragen sich: „Wer kümmert sich nun um die Kommunikation mit den vielfach säumigen Emittentinnen? Wer organisiert Zahlungen von Zinsen und Rückzahlungen an tausende InvestorInnen?“
Rechtsberatung für Anleger: Ansprüche im Insolvenzverfahren können erst geltend gemacht werden, wenn ein reguläres Insolvenzverfahren eröffnet werden sollte. Wichtig ist solvente Anspruchsgegner zu finden, wie z.B. Anlageberater, wenn sie nicht ordnungsgemäß über die bestehenden Risiken aufgeklärt haben.
Rechtsexperten empfehlen Betroffenen, zeitnah ihre Forderungen im Insolvenzverfahren anzumelden und mögliche Prospekt- beziehungsweise Beratungshaftungsansprüche gegen Verantwortliche zu prüfen.
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Marktreaktionen und internationale Aufmerksamkeit
Die Insolvenz der EV Digital Invest AG erregte auch internationale Aufmerksamkeit. Das britische Fachmagazin Investment & Pensions Europe (IPE) berichtete über den Fall als Beispiel für die Bemühungen des VZB, seine Investitionsaufsicht nach früherer Kritik zu verbessern.
Auf der Bewertungsplattform Trustpilot zeigten Anleger bereits vor der Insolvenz ihre Frustration: „Von sieben Projekten, an denen ich beteiligt war, sind vier erheblich verzögert und eines ist sogar insolvent“. Ein anderer Anleger berichtete: „Für drei Projekte in die ich investiert habe (A und AA) keine Darlehensrückzahlung, seit Monaten keine Zinszahlungen“.
Branchenweite Auswirkungen
Mit EV Digital Invest ist nun die erste große Crowdfundingplattform in Deutschland gescheitert. Der Fall wirft Schatten auf die gesamte Crowdinvesting-Branche und führt zu verschärften Diskussionen über Anlegerschutz und Plattformregulierung.
Auch andere Versorgungswerke reagierten auf die Medienberichte der vergangenen Wochen. Das Versorgungswerk der Landeszahnärztekammer Hessen und das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe erklärten, nicht in Mezzanine-Darlehen und Immobilien-Projektentwickler sowie Signa-Anlagen oder die Element-Versicherung investiert zu haben.
Fazit
Die Insolvenz der EV Digital Invest AG ist das erste große Scheitern einer Crowdfinanzierungsplattform in Deutschland und wirft ein Schlaglicht auf die Risiken informierter Privatanleger in der digitalen Immobilienfinanzierung. Während das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin als Mehrheitsaktionär seine Verantwortung abwehrt und sich auf aufsichtsrechtliche Bedenken beruft, stehen die kleineren Investoren mit beträchtlichen Unsicherheiten da.
Die anhängigen KapMUG-Verfahren und bereits ergangenen Gerichtsurteile zeigen, dass Anleger durchaus Chancen auf Schadensersatz haben, insbesondere wenn Aufklärungspflichtverletzungen nachgewiesen werden können. Das Landgericht Berlin II stellte fest, dass ein ‚Scoring‘ ohne taugliche aktuelle Grundlage „bestenfalls eine Zahlenspielerei“ darstellt und „keine valide Grundlage für eine Anlageentscheidung“ ist.
Die juristischen Auseinandersetzungen der kommenden Monate werden klären, in welchem Umfang Anleger Mittel zurückerhalten und welche Rolle Schadensersatzansprüche spielen. Unabhängig vom Ausgang bleibt diese Insolvenz eine Mahnung: Crowdinvesting kann Chancen bieten, birgt jedoch auch erhebliche Haftungs- und Ausfallrisiken. Der Fall unterstreicht zudem die Notwendigkeit transparenter Due-Diligence-Prozesse und einer stärkeren Regulierung von Crowdinvesting-Plattformen zum Schutz privater Anleger.
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Quellen und weiterführende Links
- EQS-Adhoc Mitteilung vom 04.07.2025 – Insolvenzantrag der EV Digital Invest AG
- Ad Hoc News: EV Digital Invest AG wird Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung stellen
- Offizielle Website der Zahnärztekammer Berlin mit Stellungsnahme
- Landgericht Berlin KapMUG Verfahren
- DFPA: EV Digital Invest beantragt Insolvenzverfahren
- Landgericht Berlin II, Urteile vom 26.07.2024 – Schadensersatz für Anleger Atelier-Wohnungen an der Burg II
- Wallstreet-Online: Insolvenz-Antrag der EV Digital Invest AG: Überraschende Zahlungsweigerung!
- Handelsblatt: Crowdinvesting-Plattform EV Digital Invest stellt Insolvenzantrag
- Capital: Lizenzpartner des Edel-Maklers Engel & Völkers insolvent
- Investmentcheck.de – Analysen zu gescheiterten Projekten